Bericht von der Veranstaltung (gefunden auf www.bag-plesa.de)
am Freitag, 04.11.2011, im Gewerkschaftshaus Köln.
Veranstalter: Europäische Märsche gegen Erwerbslosigkeit, Linke Erwerbslosen Organisation (L.E.O.). Moderation: Angela Klein
1-Euro-Jobs werden abgeschafft, dafür werden Langzeitarbeitslose als “sozial Behinderte” definiert und entsprechend behandelt. Das Modell aus den Niederlanden findet Eingang in die Vorhaben der NRW-Regierung.
Die Referenten waren Abdel Malek (Bjistandsbond Amsterdam) und Nils Böhlke (Die Linke im Landtag NRW)
Abdel Malek von der Erwerbslosenini, Bjistandsbond Amsterdam
( Elektriker und Leiharbeiter)
informierte über die geplanten und sich in Vorbereitung befindenden breiten Einschneidungen
in das Leben vieler -bisher auch noch nicht betroffener- Bevölkerungsschichten der Niederlande.
Eine dafür fehlende Verwaltung verschob den Beginn dieser einschneidenden Maßnahmen um ein Jahr auf 01.01.2013.
Neben der Sozialhilfe wird auch der Gesundheits- und Bildungssektor betroffen sein.
Akzeptanz- und Durchsetzungsstrategien beginnen über Salamitaktik, hetzerischere und rassistische Propaganda (faule Erwerbslose, Frauen sollen zu Hause bleiben und Migrant_innen als Sozialschmarotzer) zu laufen. Es formiert sich schon Widerstand.
Geplante Maßnahmen der Regierung sind :
– Die Sonderleistungen für Familien mit behinderten Kindern werden mit der Gesamtleistung der Unterstützung verrechnet.
– Rentner_innen konnten sich bisher 13 Wochen pro Jahr außerhalb der Niederlande aufhalten, nunmehr nur noch 28 Tage.
[auf Nachfrage: diese Regelung soll für alle Rentner gelten, nicht etwa nur für die, die Sozialhilfe beziehen]
– Migrant_innen konnten, wenn sie die Anwartschaften für die Rente nicht erfüllt hatten diese durch Leistungen aus der Sozialhilfe ausgleichen. Die Möglichkeit wurde gestrichen.
– Konnten Migrant_innen bisher für 21 Wochen pro Jahr in ihre Heimat fahren, sind es jetzt nur noch 8 Wochen.
– Alleinstehende Eltern mit Kindern können nun zur Arbeitssuche verpflichtet werden.
– Steuerliche Erleichterungen für Alleinstehende werden gestrichen.
– Unabhängig des realen Arbeitsplatzangebotes erfolgt die Verpflichtung sich aktiv Arbeit suchen zu müssen.
– Wer an Sprachkursen zur Integration nicht teilnimmt und diese nicht abschließt, dem wird die Sozialhilfe gestrichen.
– Integrationskurse, bisher kostenlos, müssen nun bezahlt werden.
– Unter Androhung von Sanktionen hat frau /man entsprechend einer Kleiderordnung bei den Sozialleistungsbehörden zu erscheinen. Soll auch Kopftuchträgerinnen zum Nachteil gereichen.
– Psychiatriepatient_innen müssen ihre Behandlung zukünftig aus eigener Tasche bezahlen.
– Menschen in Heimen wird die Pflegeleistung gekürzt. Folge: Eigenbeteiligung.
– Mieten für Sozialwohnungen werden angehoben.
– Das Renteneintrittsalter wird von 65 auf 68 angehoben.
– Stipendien für Studenten werden gekürzt.
– Es wird Einschnitte in die Grundversorgung der Krankenversicherung geben.
– Vertretern von Behörden bekommen bei Bedürftigkeitsprüfungen das Recht auf Hausbesuch (oder war es die Wohnung zu betreten?)
– Volle Prozesskostenübernahme im sozialgerichtlichen Bereich wird gestrichen. Eigenbeteiligung wird Pflicht.
– (Exkurs: Streichung im kulturellen Bereich. Angriffe auf die Justiz wegen zu milden Strafen)
– Trägern, die bisher mittels Kombilohnmodellen Menschen in den ersten Arbeitsmarkt integrieren konnten, werden die Mittel gestrichen. Abschaffung solch staatlicherseits subventionierter Arbeit.
– Streichung staatlicher Unterstützung von Erwerbslosenorganisationen und Beratungsstellen.
– Bisher musste Pflichtarbeit von Erwerbslosen zusätzlich sein. Entfällt, es darf jegliche Form von Arbeit sein.
Hier nun das eigentliche Thema zum Aufhänger (s.o. … – “sozial behindert”):
Die Niederlande führt das sog. Lohndispensationssystem ein. Es erlaubt Arbeitgebern weniger als den gesetzlichen Mindestlohn zu zahlen. Um wie viel weniger wird am Betroffenen evaluiert.
Der sog. durchschnittliche normale Arbeitnehmer wird in einem komplizierten Verfahren dabei als 100 % gesetzt. Es betrifft vor allem die Langzeitarbeitslosen. Sie werden in Bezug auf die 100 % in ihrer Leistungsfähigkeit als “sozial behindert” betrachtet. Das prozentuale Maß der “Behinderung” (körperlich geistiger Art) stellen Ärzte fest unter Mithilfe eines Angestellten der Gemeindebehörde, der die Evaluation begleitet.
Die zu evaluierende Person arbeitet dabei drei Monate umsonst bei einem Arbeitgeber. Das Ganze wird als Hilfe zur Integration verkauft.
Um einen Willkürvorwurf vorzubeugen wird es ärtzliche Variablen bei der Selektion geben.
Z.B. wie wurde die Arbeit ausgeführt? Sozialverhalten am Arbeitsplatz. Kontaktfreudigkeit. Wie schnell werden Aufgaben erledigt? Ist die Person Ratschlägen zugänglich?
Gemessen an vorgegebenen Normwerten wird so der Grad der “Behinderung” festgestellt.
Sind es z.B. 40%, so ist bei einer 36 stündigen Wochenarbeitszeit auch nur 40% des Mindestlohnes
seitens des Arbeitgebers zu zahlen. Der Rest ist durch Sozialhilfe aufzustocken. Dabei kann dies auch über unterschiedliche Beihilfen erfolgen; z.B. bei der Miete, etc.
Diese individuelle Evaluation wird jedes Jahr neu erhoben.
In Groningen, wo dies schon praktiziert wird, sind 1500 Leute auf die Straße gegangen.
Die Gewerkschaften setzen auf Kombilohnmodelle und unterstützen diesen Protest nicht.
Menschen in sogenannten normalen Beschäftigungsverhältnissen sehen sich noch nicht gefährdet, weil es für sie ohnehin erst mal Sozialhilfe gibt.
Nils Böhlke, Die Linke im Landtag NRW, Referent für Arbeitsmarkt- und Gesundheitspolitik verwies in Analogie auf das sogenannte Minderleistungsausgleichsvorhaben, was bisher lediglich im Bundesrat eingebracht und ebenso wie im einschlägigen Ausschuss des Landtags NRW vorläufig abgelehnt worden ist.
Trotz des angeblichen Jobwunders gibt es immer weniger sozialversicherungspflichtige Vollzeitsarbeitsplätze, dafür einen immer weiter ausgedehnten Niedriglohnsektor.
Gemessen daran suchen 10 – 11 Mio. eine solchen Vollzeitarbeitsplatz. Und daran Gläubige schreiben monatlich mehr als 200 Bewerbungen.
Aus Sicht von Arbeitgebern und Politik stehen der Integration in den ersten Arbeitsmarkt sogenannte multiple Vermittlungshemmnisse entgegen. Das gesellschaftlich ökonomische Versagen wird ausgeblendet und per Schuldverlagerung den Erwerbslosen durch Kampagnen zugeschrieben. Ein gesellschaftliches Problem wird individualisiert.
Nach deren Sicht haben ca. 100 000 Betroffene sogenannte multiple Vermittlungshemmnisse, was wie eine Krankheit klingt.
Unter der Schutzbehauptung helfen zu wollen, werden diese Erwerbslose als sog. Minderleister gesehen und sollen in sog. Integrationsunternehmen per staatlichem Zuschuss eingestellt werden.
In Unternehmen, die zuvor Kosten externalisiert, sprich die Leute rausgeschmissen haben um nun für die erneute Einstellung staatlich subventioniert zu werden.
Solche Modelle sind bereits in Berlin und Brandenburg im sog. Gemeinwohl orientierten Bereich ausprobiert worden.
Es soll sich dabei laut offizieller Darstellung um tariflich entlohnte sozialversicherungspflichtige Jobs im Rahmen von Freiwilligkeit gehandelt haben, die im ersten Arbeitsmarkt gemündet haben sollen. Freiwilligkeit im Rahmen von Hartz IV sei sehr fraglich und im Rückblick auf die sogenannten multiplen Vermittlungshemmnisse konnte der Referent sich nicht verkneifen die rhetorische Frage zu stellen, wie denn das multiple Vermittlungshemmnis “Alter” durch die Maßnahme hat beseitigt werden können; ist man dadurch etwa jünger geworden?
Das erwähnte Modell sei ein sog. Passiv-Aktiv-Transfer, wobei “passiv” als Synonym für nichts tuende Erwerbslose steht.
Das Modell ist von der Diakonie entwickelt worden. Als Mitglieder “Der Linken” in Duisburg, wo das Modell vorgestellt worden war ihre sachliche Kritik anbrachten, wurden sie von den Mitarbeitern der Diakonie aufs Schärfste angegriffen, wie man nur Hilfe so abwiegeln könne.
Private und Gemeinwohl orientierte Stellen sollen aus Mitteln der Arbeitslosenversicherung finanziert werden, da aus dem Topf der Bundesanstalt für Arbeit keine Mittel zur Verfügung stünden.
Was eine soziale Behinderung anbelangt, so sollte man den Fokus mal auf die durch Repression im Sozialversicherungsbereich, insbesondere Hartz IV-Bereich, psychologisch kaputt gemachten Menschen richten.
Immer mehr haben Horror die Jobcenter überhaupt zu betreten.
Dieses Modell soll gesellschaftliche Notwendigkeiten bedienen, die vom Markt nicht abgedeckt werden, sog. Nonprofitsektor.
70 % der Krankenhäuser sollen dazu gehören
Es sind Tendenzbetriebe, wo die Mitbestimmung ausgehebelt ist, trotzdem bewegen sie sich auf dem Markt in kapitalistischer Konkurrenz.
Wer sich näher für dieses Vorhaben der NRW-Regierung interessiert sei auf die beiden folgenden Drucksachen des Landtages NRW verwiesen:
http://www.landtag.nrw.de/portal/WWW/dokumentenarchiv/Dokument/MMD15-2211.pdf wer auf der Seite des LT NRW unter Drucksachensuche 15/2211 eingibt erfährt: Status †Dokument ist nicht verfügbar…
…daher zumindest der Link der Neufassung:
http://www.gruene.landtag.nrw.de/sites/www.gruene.landtag.nrw.de/files/mmd15-2211.pdf
http://www.landtag.nrw.de/portal/WWW/dokumentenarchiv/Dokument/MMD15-2424.pdf
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Im Anschluss fand eine Diskussion statt, wo ein Erwerbsloser darauf hin wies, dass im Jobcenter Köln es Eingliederungsvereinbarungen gibt, wo als Maßnahme die Teilnahme an einer sog. Leistungsdiagnostik festgeschrieben wird. Ärzte und Psychiater begutachten Personen unabhängig vom gesundheitlichen und intellektuellen Niveau.
Alles liefe auf Stigmatisierung raus. Eine kranke Gesellschaft definiere andere als krank.
Jobcenter klingt so harmlos wie Einkaufscenter.
In Großbritannien ist gesetzlich die Begrenzung auf nur noch einen Beistand festgeschrieben worden. Anträge sollen nur noch über Telefon gestellt werden können. Deren Jobcenter sind nur noch mit einem Termin betretbar. Auszahlungen in Notlagen finden in einer dafür isoliert liegenden Stelle statt.
Es wurde für die arbeitsmarktpolitische Konferenz am 03.03.12 in Köln geworben.
(Der Bericht wurde erstellt von der BAG PLESA)