Der sächsische Wirtschaftsminister Kajo Schommer hält es für falsch, Menschen über 50 noch einen Arbeitsplatz auf dem ersten Arbeitsmarkt vermitteln zu wollen.
In der zweiten Jahreshälfte 1999 brachte die sächsische Landesregierung daher ein »Pilotprojekt zur Auslotung und Erschließung von Aufgabenfeldern außerhalb der traditionellen Erwerbsarbeit« auf den Weg. »Ausgelotet« werden soll die Bereitschaft von Arbeitslosen und Sozialhilfeempfängern, »freiwillig« Aufgaben »außerhalb der traditionellen Erwerbsarbeit« anzunehmen, was meint: Erwerbsarbeit wie Sportplatzsanierungen, Museums- und Bibliotheksarbeiten, Sozialarbeit u.a. Sie werden mit einer minimalen Vergütung gelockt - viel genug, damit sie einen Jobs überhaupt annehmen, und so wenig, daß sie damit niemals eine eigene Existenz aufbauen können.
Tauris ist ein Modellprojekt in der Erprobungsphase. Es richtet sich an Langzeitarbeitslose, die in verschiedenen Arbeitsbereichen der Kommunen beschäftigt werden sollen. Was die Vergütung betrifft, gibt es drei Modelle: Modell A sagt, es gibt keine Vergütung. Modell B sagt, es gibt 150 Mark im Monat zusätzlich zur Stütze. Modell C sagt, es gibt einen Arbeitsvertrag mit einer Vergütung in Höhe der Arbeitslosenhilfe. Erprobt wird derzeit das Modell B, wobei die Betroffenen für die 150 Mark maximal 14 Stunden in der Woche arbeiten dürfen. daß ihnen Arbeitsplätze »außerhalb der traditonellen Erwerbsarbeit« angeboten werden, bedeutet nicht, daß es hier keine Vollzeitarbeitsplätze zu tariflichen Bedingungen gäbe; es bedeutet nur, daß die neuen Billiglöhner unter keine Regelung und Schutzmaßnahme des ersten Arbeitsmarkts mehr fallen: Es gilt kein Kündigungsschutz, kein Unfallschutz, keine geregelte Arbeitszeit, natürlich kein Tarifvertrag.
Das Modell verabschiedet sich offen von der im Arbeitsförderungsgesetz niedergelegten Verpflichtung, wonach das Ziel arbeitsmarktpolitischer Maßnahmen die Reintegration in den ersten Arbeitsmarkt ist. Das heißt, die Menschen, die sich zu solchen Maßnahmen melden, müssen arbeiten gehen, obwohl sie nie mehr die Chance zu einem regulären Arbeitsverhältnis bekommen. Ihre Beschäftigungsaussichten sind nicht besser als die derer, die zu Hause bleiben. Warum sollten sie solche Angebote also annehmen? Weil in Sachsen eine wachsende Zahl von Menschen am Rande des bzw. unter dem sozialen und kulturellen Existenzminimum lebt. Der Deutsche Caritasverband gibt in ein Deutschland gemäß EU-Kriterien (50% des durchschnittlichen Nettoeinkommens eines Landes) mit 924 DM an. In Sachsen liegt es bei 868 DM, also 56 DM darunter. 1997 lebten in Sachsen über 10 Prozent aller Haushalte (179200) in relativer Einkommensarmut. So verwundert es nicht, daß Menschen auf das »Angebot« der Landesregierung mit der Bemerkung reagieren: »150 Mark sind für mich viel Geld.«
Die Landesregierung testet also aus, wie wenig sie ausgeben muß, um Menschen zu einer Arbeitsaufnahme zu unwürdigen Bedingungen zu nötigen. Noch ist die Maßnahme deshalb freiwillig. Kein Langzeitarbeitsloser ist gezwungen, das »Angebot« anzunehmen. Sollte die Regierung jedoch eine Schwelle finden, die eine nennenswerte Zahl von Erwerbslosen und Sozialhilfeempfängern attraktiv genug findet, um sich zur Arbeit (zum »Zubrot«) zu melden, würde in einem zweiten Schritt der Zwang einsetzen: Dann würde die Zahlung von Stütze davon abhängig gemacht, daß Erwerbslose solche Jobs annehmen - und damit die Voraussetzung geschaffen, nunmehr die Sozialhilfe um eben diesen Betrag abzusenken.
Das ist keine bösartige Unterstellung, sondern wird in einem Land wie Belgien bereits so praktiziert: Dort haben Arbeitsämter 1994 angefangen, örtliche Beschäftigungsgesellschaften zu gründen, deren Zweck es ist, Langzeitarbeitslose ind schlecht bezahlte und ungeschützte Jobs zu vermitteln. Zunächst waren dies auch hier Stellen bei den Gemeinden; inzwischen sind es aber zu 80% private Haushalte, die solche Arbeitskräfte nachfragen - als Nachhilfe, Putzfrau, Boten, Schlepper von Einkäufen, Hilfen beim Heimwerken usw. Die reichen Haushalte, für die diese neue Form der Dienstbotengesellschaft geschaffen wird, dürfen diese auch noch von der Steuer absetzen! Anfangs war auch hier die Maßnahme freiwillig. Mittlerweile ist es so, daß Langzeitarbeitslose (mehr als drei Jahre), die älter als 40 sind, zur Verfügung stehen müssen, sonst droht ihnen der Entzug der Stütze.
»Die vornehmliche Zielsetzung von Tauris«, erklärt der Sprecher der Sächsischen Armutskonferenz, Ronald Blaschke, ist, »Erkenntnisse über die Zusammenführung von Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe zu gewinnen«. »Zusammenlegung« ist hier eine Umschreibung für die Abschaffung der Arbeitslosenhilfe - was eines der dringendsten sozialpolitischen Ziele der Arbeitgeberverbände ist. Im Rahmen dieser Zusammenlegung soll auch die gesetzliche Möglichkeit abgeschafft werden, sich mit einer ABM oder einer Maßnahme nach dem Modell »Arbeit statt Sozialhilfe« ein verbessertes Einkommen zu erarbeiten. Tauris ist der derzeit radikalste Ansatz in der BRD zur Schaffung eines parallelen Billig-Arbeitsmarkts, Abschaffung der Arbeitslosenhilfe und Senkung der Sozialhilfe.
Ganz nebenbei verspricht das Modell auch einen Finanzspritze für die arm gemachten sächsischen Kommunen, die manchen Vollzeitarbeitsplatz liquidieren und durch fast kostenlose Arbeitskräfte ersetzen können. Der soziale Druck ist so groß, daß auch Beschäftigungsgesellschaften und selbst der sächsische Arbeitslosenverband dankbar zugreifen. Die Landesregierung verkauft die Maßnahme als Bewährungsprobe für Erwerbslose, mit der sie unter Beweis stellen könnten, daß sie nicht faul, sondern arbeitswillig seien. Sie reiße die Menschen aus ihrer Lethargie und möbele Arbeitslose psychosozial auf - laut Blaschke alles Sprechblasen.
Angela Klein
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