Stellungnahme des EGB zum Entwurf der Grundrechtecharta
für den Gipfel in Nizza
(angenommen vom EGB-Exekutivausschuss am 25.-26. Oktober 2000)
- Der EGB erkennt den Entwurf des Konvents für eine Charta der
Grundrechte der EU als wichtigen Schritt zur Förderung eines sozialen
Europas und eines Europas der Bürger an. Doch der Kampf muß weitergehen, um
dieses Ziel vollständig zu erreichen. Die endgültige Charta weist
Verbesserungen auf gegenüber dem ursprünglichen, inakzeptablen Entwurf, die
auf die Kampagne und Reaktion des EGB zurückzuführen sind. Das strategische
Ziel des EGB bleibt eine vollständige, legal verbindliche Charta, eingefügt
in die EU-Verträge. Für den EGB sind der Inhalt der Charta und ihr Status
untrennlich miteinander verbunden.
- Der EGB begrüßt, dass die EU-Grundrechtscharta die Unteilbarkeit
der politischen, bürgerlichen, sozialen und gewerkschaftlichen Rechte
widerspiegelt. Der EGB stellt mit Zufriedenheit fest, dass sein Vorschlag
zur Aufnahme vorrangiger EU-Rechte weitgehend in der Charta übernommen
wurde. Dazu gehören Gewerkschaftsrechte, das Recht auf Unterrichtung und
Anhörung, Gleichstellung und Nichtdiskriminierung, das Verbot der
Kinderarbeit, das Recht auf Gesundheitsschutz und Sicherheit am
Arbeitsplatz und auf Freizügigkeit. Dagegen bedauert der EGB, dass andere
Rechte aus der revidierten Europäischen Sozialcharte, so wie das Recht auf
ein Mindesteinkommen, nicht aufgegriffen wurden.
|
Homepage
Bundeskoordination
Übersicht/Archiv
Chronologie
Die Entwicklung der Euromärsche
|
- Obwohl die Auswahl der übernommenen sozialen Rechte eine enge
Auslegung der bestehenden Rechte deutlich macht und die sozialen Rechte so
formuliert sind, dass ihre Reichweite eingeschränkt ist, stellt die
Grundrechtecharta einen Mehrwert gegenüber der aktuellen Lage dar. Die
ausdrückliche Anerkennung der Gewerkschaftsrechte, auch auf EU-Ebene, kann
noch bestehende Unklarheiten ausräumen. Es ist besonders im Hinblick auf
den Binnenmarkt und die erreichte wirtschaftliche Integration von
Bedeutung, dass die Charta die Gewerkschaftsrechte, auch auf EU- und
grenzübergreifender Ebene, anerkennt.
- Der EGB bedauert daher um so mehr die offenkundigen Mängel beim
gewerkschaftlichen Recht, ohne Einschränkungen durch nationale Grenzen
handeln zu können. Die Mängel müssen im Follow-up-Verfahren so behoben
werden, dass die Gewerkschaftsrechte als »fünfte Freiheit« des Binnenmarkts
voll und ohne Einschränkungen gewährleistet sind, allerdings so, dass
nationale Kollektivverhandlungssysteme voll respektiert werden.
- Der EGB bedauert, dass der informelle Gipfel in Biarritz keine
Einigung in der Frage der sofortigen Einbeziehung der Grundrechtscharta in
die Regierungskonferenz, einer Empfehlung zur künftigen Stellung der Charta
und eines Vorschlags für ein klares Follow-up-Verfahren erreicht hat.
- Der EGB betont, dass die rechtlich bindende Aufnahme der
Grundrechtecharta in den EU-Vertrag äußerst wichtig ist. Eine feierliche
politische Erklärung außerhalb des Vertrags würde den Zielen und
Erwartungen, die der Kölner Gipfel durch die Einleitung des
Chartaerstellungsverfahrens geweckt hat, selbstverständlich nicht gerecht.
Die Glaubwürdigkeit des Europäischen Rats steht auf dem Spiel. Eine
politische Erklärung außerhalb des Vertrags könnte von den Arbeitnehmern
und Bürgern leicht als negatives Signal aufgefasst werden, wenn es um die
tatsächliche Anerkennung der EU auf der Grundlage gemeinsamer Werte mit
derselben Priorität wie die wirtschaftliche Zusammenarbeit geht. Dies
könnte als Rückschritt gegenüber den Hinweisen im geltenden Vertrag auf die
Instrumente des Europarats und die Gemeinschaftscharta von 1989 gesehen
werden.
- In Anbetracht der Tatsache, dass der Konvent die Grundrechtecharta
aufgesetzt hat, »als ob« sie rechtsverbindlich werden soll, und ihre
Formulierung deshalb sorgfältig abgewogen hat, wäre es unbegreiflich, wenn
der Europäische Rat von Nizza es ablehnen würde, die Charta rechtlich
bindend im Vertrag zu verankern. Der EGB begrüßt in diesem Zusammenhang die
klaren Stellungnahmen des Europäischen Parlaments und der Europäischen
Kommission und ruft sie auf, die Erklärung der Charta auf dem Gipfel in
Nizza, ergänzt durch Beschlüsse, die sie wirksam werden lassen, zu
unterstützen.
- Der Europäische Rat von Nizza sollte sich zumindest auf folgendes
einigen:
- erstens das Ziel zu akzeptieren, die Rechte rechtsverbindlich
aufzunehmen;
- zweitens über das Verfahren und den Zeitplan für die Aufnahme der Charta
einen Beschluß zu fassen;
- drittens anhand von Absatz 5 der Präambel der EU-Charta in Artikel 6 Absatz
2 des EG-Vertrags auf die Charta zu verweisen;
- viertens auf der Grundlage von Artikel 12 Absatz 1 und Artikel 28 der
EU-Charta einen neuen Absatz in Artikel 136 des EG-Vertrags über die
Gewerkschaftsrechte (Vereinigungsfreiheit, Recht auf Tarifverhandlungen,
Recht auf Kollektivmaßnahmen) einzufügen.
- Die Diskussionen im Konvent haben auch ganz klar das dynamische Wesen
der Grundrechte deutlich gemacht und bestätigt. Die neuen Rechte im Bereich
der Biotechnologie beweisen es. Ein Verfahrenselement wäre daher, über ein
Überwachungsverfahren zu beschließen, das dem evolutionären Aspekt Rechnung
trägt. Ein solches Verfahren wäre überdies eine Chance, die weitere
Verbesserung der EU-Charta zu überprüfen.
- Der EGB ruft die Mitgliedstaaten dazu auf, die revidierte Europäische
Sozialcharta des Europarats zu ratifizieren.
- Der EGB unterstreicht die außerordentliche Bedeutung einer wirksamen
Anerkennung der Grundrechte einschließlich der Gewerkschaftsrechte durch
die EU, besonders im Hinblick auf den laufenden Prozess der Vertiefung und
Erweiterung der EU-Integration.
- Der EGB unterstreicht die Verbindung zwischen der EU-Grundrechtecharta
und der sozialpolitischen Agenda bei der Umsetzung der programmatischen
Rechte. Die Annahme einer starken und gezielten »sozialpolitischen Agenda«
auf dem Gipfel in Nizza ist ein wichtiger Beitrag zur Wirksamkeit dieser
Rechte.
|
Seitenanfang
Homepage
Bundeskoordination
E-Mail Webmasterin |