Der folgende Artikel entstammt der in Mailand erscheinenden linken italienischen online-Monatszeitschrift »REDS« Nr. 42 vom Dezember 2000:

Die Leiharbeit

Eine ausführliche Analyse eines mächtigen Instrumentes zur Spaltung der Arbeiterklasse

Übersetzung und Anmerkungen in eckigen Klammern: Antifa-AG der Uni Hannover und Gewerkschaftsforum Hannover

Der Mechanismus der Leiharbeit ist sehr einfach: Ein öffentliches oder privates Unternehmen, das einen Arbeiter oder einen Angestellten braucht und nicht beabsichtigt ihn einzustellen, kann sich an eine Zeitarbeitsfirma wenden, die ihn für den verlangten Zeitraum an dieses vermietet.

In Italien nimmt die Verwendung dieses Arbeitstyps kontinuierlich zu. In den ersten 6 Monaten des Jahres 2000 ist die Anzahl der per Leiharbeit Beschäftigten fast ebenso hoch wie für das ganze Jahr 1999 gewesen. Vom 1.Januar bis 30. Juni sind 228 000 dieser Arbeitsverhältnisse begonnen worden (gegenüber 260 000 für ganz 1999) und der Gesamtumsatz hat die Marke von 1,5 Billionen Lire [= 1,5 Mrd. DM oder gut 10 Mrd. öS /d.Ü.] gestreift. Die Leiharbeitsbranche strukturiert sich immer mehr und zählt heute mehr als 50 Gesellschaften (davon 5 multinationale) mit 1 100 Filialen landesweit und beschäftigt insgesamt über 3 500 auf unbefristete Zeit eingestellte Arbeitskräfte.

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Im ersten Halbjahr 2000 waren es 40 000 Unternehmen, die von der Leiharbeit Gebrauch gemacht haben und in 70% der Fälle taten sie es nach eigenem Bekunden, um nicht vorhersehbare Arbeitsspitzen zu bewältigen. Der typische Leiharbeiter ist männlich (in 62% der Fälle), mit einer höheren Schulbildung (49%) und arbeitet überwiegend in der Metallindustrie (40%). Die Zahl der Leiharbeiter mit niedrigem Bildungsniveau, die heute 7% der Gesamtheit ausmachen, nimmt jedoch zu. Das liegt an der Gesetzesänderung, die zusammen mit dem Haushalt (der Regierung D'Alema) für 1999 angenommen worden ist und die Ausweitung der Leiharbeit auf die niedrigsten Berufsprofile erlaubt hat. Nebenbei ist es angebracht daran zu erinnern, daß das Gesetz, das die Leiharbeit eingeführt hat, in der Epoche der Regierung Prodi (in dem sogenannten »Treu-Paket«) verabschiedet worden ist und auch dank der Unterstützung oder- wie man heute sagt - der Nicht-Kriegsbeteiligung des Partito della Rifondazione Comunista (Partei der kommunistischen Neu/be/gründung - PRC) durchgekommen ist.

Das Durchschnittsalter des Leiharbeiters beträgt 27 Jahre, aber der Hauptteil der Neueinstellungen betrifft die Jüngsten. In 34% der Fälle sind sie nicht älter als 25 Jahre. In 89% der Fälle dauern die Arbeitsverhältnisse weniger als 6 Monate, selten (1,)%) überdauern sie 1 Jahr. In Italien beziehen die Leiharbeiter laut den Daten der Assointerim [= einer der Kapitalistenverbände in dieser Branche /d.Ü.] durchschnittlich ein Nettogehalt von 1,5 Millionen Lire [= 1 500 DM oder gut 10 000 Schilling /d.Ü.]. Das Unternehmen, das die Arbeitskraft nutzt, überweist aber 4 Millionen Lire an die Zeitarbeitsagentur, die dafür sorgen muß, alle [Sozial- /d.Ü.] Beiträge und Steuern zu bezahlen. In der Zahl sind durchschnittlich 400 000 Lire enthalten, die die Agentur für sich behält.

Der Leiharbeiter hat somit, auch wenn er ein niedrigeres Gehalt bezieht, einen höheren Preis als ein festangestellter Arbeiter. Diese höheren Kosten werden auf 18 - 20% mehr veranschlagt, aber die bezahlt der padrone gern, um Arbeitskräfte in seiner Abhängigkeit zu haben, die er in jedem Augenblick und aus jedem Grund nach Hause schicken kann. Während diese Art des Arbeitsverhältnisses erst seit wenigen Jahren existiert, ist es im restlichen Europa hingegen eine ausgiebig genutzte Arbeitsform, die im System der Unternehmen Flexibilitätsniveaus erlaubt hat, die die heimischen Chefs immer beneidet haben. In Großbritannien z.B. ist dies eine Realität, deren Wurzeln bis zum 2.Weltkrieg zurückreichen und die, trotzdem ihre Reglementierung beginnen, sich den - wenn auch nur formalen - Garantien, die es in Italien gibt, anzunähern, nur sehr wenig zur Diskussion gestellt werden.

Zeitarbeitsagenturen und Arbeitgeber haben viel Handlungsfreiheit. Es gibt keine Gesetze, die in bezug auf die Zeiträume der Anstellung und die Gleichstellung mit den fest angestellten Arbeitskräften Grenzen auferlegen. Außerdem hatte bis 1998 kein Arbeiter (und am wenigsten die Zeitarbeiter) ein Recht auf bezahlten Urlaub. Dieses blieb ein Element, das an die direkte Verhandlung zwischen den beiden Seiten gebunden war. Der Mindestlohn ist ab April 1999 eingeführt worden. Bis damals gab es keine Einschränkungen was die Mickrigkeit der Entlohnung anbelangte. Ein derartiges Fehlen von Regeln hat zu den Rekorden geführt, wie dem eines Arbeiters, der 20 Jahre lang von derselben Universität mit provisorischen Verträgen angestellt worden ist. Ohne bei diesen Extremen anzukommen, sind die Fälle von Stellenvermittlungen nicht selten, die speziell in Zonen mit hoher Arbeitslosigkeit weniger qualifizierte Arbeitskräfte regelrecht mißbrauchen.

Diesem Problem setzen die [britischen /d.Ü.] Gewerkschaften keine Forderungsaktion entgegen, die darauf gerichtet ist, die Tragweite dieser Art von Arbeitsverhältnis zu reduzieren, sondern sie beschränken sich darauf, dafür zu sorgen, daß die Mißbräuche nicht grassieren, erkennen aber gleichfalls an, daß die Wahl der Leiharbeit für den Arbeiter und den Arbeitgeber eine vernünftige Entscheidung ist. Dies gilt vor allem für die Zonen mit hoher Arbeitslosigkeit, wo es auch vorkommen kann, daß man in einer Periode wirtschaftlicher Expansion mit einem Zeitarbeitsverhältnis mehr verdient. In anderen Zonen und während einer Situation wirtschaftlichen Abschwungs bricht bezogen auf die Zeitarbeit ein Unterbietungs- / Lohnsenkungskrieg aus. Das hilft zu erklären, warum in einer Rezessionsperiode wie 1995 die Motivation von 44% der Zeitarbeiter [ein solches Arbeitsverhältnis einzugehen /d.Ü.] war, daß sie keine Vollzeitarbeit gefunden haben, während dieser Prozentsatz im Frühling 2000 (in vollem Boom) auf 31% gesunken war. Schließlich wird die Zeitarbeit im öffentlichen Sektor [Großbritanniens /d.Ü.] doppelt so häufig genutzt wie im privaten, insbesondere in der öffentlichen Verwaltung, im Bildungssektor und im Gesundheitswesen. In diesen Sektoren umfaßt sie 7,1% der Arbeitskräfte.

Aber wenn wir nach Italien zurückkehren, sehen wir, daß diese Art von Arbeitsvertrag von den Betrieben faktisch ausschließlich dazu benutzt wird, die Arbeiter zu selektieren. Sehr viele fordern Arbeiter von Zeitarbeitsagenturen an, um sie dann Kategorien mit niedrigem Bildungsprofil einzugruppieren, mit der Verpflichtung sie in den vom Vertrag vorgesehenen Zeitraum auf das höhere Tarifniveau zu befördern. Der Zeitraum, der notwendig ist, um auf das fragliche Niveau kommen zu können, ist jedoch ziemlich lang und diese Arbeiter kommen dort niemals an. Sie werden einer gegen den anderen ausgetauscht und bleiben weiterhin auf dem niedrigsten Level.

Über diesen Weg gewinnen die padroni den Großteil der höheren Kosten wieder zurück: Gehobenes Ausbeutungsniveau und niedriges berufliches Eingruppierungs- und Lohnniveau.

Was die Zeitarbeitsagenturen anbelangt ist der erste Eindruck, daß es sich um Unternehmen handelt, die entstanden sind, um den Körper und Geist von Arbeitern zu vermieten. Tatsächlich handelt es sich um eine gesetzliche Legitimation des caporalato [= das halbfeudale »Gefreitensystem«, das vor allem in der Landwirtschaft Apuliens Anwendung findet /d.Ü.].

Es scheint ein Widerspruch zu sein: Während man einerseits Fortschritt der Technologien und einer Erhöhung der Innovationen beiwohnt, stellen wir andererseits die Rückkehr alter Formen der Ausbeutung von Sklavenarbeit in die Arbeitswelt und den Arbeitseinsatz von Körpern und Seelen ohne wirkliche Garantien fest. Auf der einen Seite bieten sich denjenigen, die über große Kenntnisse verfügen, breite Möglichkeiten, auf der anderen Seite schafft man Unsicherheit und Zersplitterung.

Der Arbeiter wird zur Verdienstquelle zweier padroni anstatt eines. Er wird schlechter bezahlt, erhält keine Karriereverbesserungen auf die er einen Anspruch gehabt hätte, wenn er den Arbeitsplatz fest hätte (das zu wünschen scheint eine Schande zu sein), wird weiterhin Arbeiten machen, die nur eine geringe Einarbeitung erfordern, da derjenige, der ihn spezialisieren müßte, bei einem Arbeitsvertrag dieser Art gewiß nicht die Unannehmlichkeit auf sich nehmen würde, ihn auszubilden (und dadurch Kosten zu haben).

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