Widerstand gegen »Workfare« in Großbritannien

Empfänger sozialstaatlicher Leistungen in Großbritannien waren im Lauf des letzten Jahrzehnts zunehmend gezwungen, ihre Rechte auf Sozialleistungen zu verteidigen. Reformen des Sozialstaates, wie die Einführung der »Jobseekers Allowance«, haben den Bezug von Leistungen stark daran gekoppelt, dass Arbeitswilligkeit demonstriert wird; »Project Work« und der vor kurzem eingeführte »New Deal« haben Betroffene wirksam gezwungen, für ihre Bezüge zu arbeiten. Während sozialstaatliche Leistungen zunächst ein Schutz gegen Niedriglöhne und Arbeitszwang waren, werden sie jetzt dazu genutzt, Arbeitslose untereinander und mit anderen abhängig Beschäftigten auf dem Arbeitsmarkt in Lohnkonkurrenz treten zu lassen. Diese Entwicklung droht, Solidarität aufzukün-digen, Rassismus anzufachen und führt letzten Endes zum Lohndumping. Nicht nur in Großbritannien sind Betroffene mit diesen Angriffen konfrontiert; dieser Prozess findet in ganz Europa und darüber hinaus statt. »Workfare«-Programme wurden zuerst in den 80er Jahren in Amerika eingeführt. Für einen erfolgreichen Kampf gegen sozialpolitische Reformen wird es infolgedessen immer wichtiger, Verständnis dafür zu entwickeln, wie regionale und nationale Verhältnisse mit der internationalen Situation zusammenhängen. Dieses Kapitel ist ein Versuch, zu einem solchen Verständnis beizutragen, indem es die Kämpfe in Großbritannien in einem europäischen Kontext ortet.

Warum »Workfare«?

Grundsätzlich können die Reformen des Sozialstaates als ein Aspekt des globalen Restrukturierungsprozesses der Kapitalbeziehungen entlang neoliberaler Modelle betrachtet werden. Restrukturierung ist eine Antwort auf die Krise, die durch die Klassenkämpfe der 60er und 70er Jahre ausgelöst wurde. Sie ist fester Bestandteil im Versuch des Kapitals, die Produktion zu reorganisieren, und zwar auf eine Art und Weise, die den Rückgang der Kapitalrentabilität aufhebt - bei gleichzeitiger Aufrechterhaltung der sozialen Ordnung. Dies schließt die Vernichtung herkömmlicher Systeme der Regulierung des Arbeitsmarktes, die sich während der sozialdemokratischen Ära entwickelten, ein. Sie werden durch neue, die Exploitationsrate maximierende Formen ersetzt, indem Arbeitsbedingungen und Arbeitsdisziplin neu aufgezwungen werden. Aus dieser Perspektive ist die neoliberale Restrukturierung des Sozialstaates Teil eines Angriffes auf die gesamte Arbeiterklasse. Ein Angriff, der versucht, die Arbeiterklasse in einzelne Individuen zu zersetzen. Indem Leistungen von der Willigkeit, jede Arbeit zu akzeptieren, abhängen, sind die Arbeiter gezwungen, miteinander um die Jobs zu konkurrieren, die existenzsichernd sind. Diese Konkurrenz läuft auf allen Ebenen ab: lokal, national und international; und die Arbeiter müssen noch härter arbeiten für immer weniger Geld. Trotzdem wäre es falsch zu behaupten, dass das Ergebnis dieser Strategie die völlige Streichung sozialstaatlicher Leistungen sein wird, vielmehr wird das Geld auf eine andere Art eingesetzt. Es wird genutzt um jene, die staatliche Unterstützung in Anspruch nehmen, tauglicher und bereiter zu machen, die unsicheren und schlecht bezahlten Jobs zu verrichten, die heute vorherrschen.

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Warum »Workfare«?

Der europäische Weg zu »Workfare«

Großbritannien - von Wohlfahrt zu Arbeit

Brighton-Vernetzung von Arbeitslosenkämpfen

Bristol »Fashion«

Widerstand in Europa

Der europäische Weg zu »Workfare«

Obwohl dieser Prozess global ist, nimmt er hier in Europa eine spezifische Form an (oft als der »Dritte Weg« bezeichnet). Die Europäische Union (EU) übernimmt in der Durchsetzung dieser Strategie die führende Rolle. Die EU hat einen Mechanismus zur Reorganisation des europäischen Kapitals entwickelt, um dessen internationale Wettbewerbsfähigkeit wiederherzustellen. Sie hat eine Welle von Fusionen und Privatisierungen beaufsichtigt, die es den Unternehmen ermöglicht, existierende, den Arbeitern geschützte Arbeitsverhältnisse und Lohnzuwächse garantierende Tarifverträgen zu umgehen, weil diese europäische Unternehmen weniger profitabel machten als deren internationale Konkurrenz. Die Einführung der Europäischen Währungsunion hat staatliche Ausgaben, die als Last für Unternehmen angesehen wurden, begrenzt. Seit 1997 hat die EU begonnen, Arbeits- und Sozialrecht zu reformieren, und zwar entlang Richtlinien, die sie als »Beschäftigungsfähigkeit« (»employability«) bezeichnet. Diese Ideen machen die Erwerbslosen für ihre Erwerbslosigkeit verantwortlich und rechtfertigen Strategien, die die Arbeitlosen dazu zwingen, unsichere, zeitlich begrenzte Billigjobs zu akzeptieren. In der Regel bedeutet dies, dass der Staat »passive« Politik, die den Betroffenen staatliche Leistungen gewährt, durch »aktive« Strategien zu ersetzen. Sie bieten Arbeitssuchenden »Trainingsprogramme« an; Arbeitslose erwerben dadurch angeblich Fähigkeiten, die sie für den Arbeitsmarkt qualifizieren. Die Erfahrung solcher Maßnahmen in Großbritannien zeigt, dass es vielmehr darum geht, die Menschen daran zu gewöhnen, für wenig Geld zu arbeiten.

Großbritannien - von Wohlfahrt zu Arbeit

Der »New Deal« wurde als das Flaggschiff von New Labour«s »welfare to work«-Politik präsentiert. Es handelt sich beim »New Deal« darum, alle, die nicht arbeiten aber Sozialleistungen erhalten (Arbeitslose, Behinderte, Alleinerziehende), zur Verrichtung jedweder Arbeit anzuhalten; normalerweise zu einem Mindestlohn von £ 3,60 oder darunter. Zunächst waren nur die unter 25 und über 54jährigen das Ziel, mittlerweile gilt dies für alle, die Leistungen beziehen. Den Betroffenen wird die »Wahl« zwischen einem Arbeitsangebot in einem Privatunternehmen, einem Wohlfahrtsverband, einer Umweltsondereinheit oder einer Qualifizierungs- oder Ausbildungsmaßnahme gestellt. Die Ablehnung dieser »Wahl« zieht den Verlust der sozialstaatlichen Unterstützung nach sich. Leistungen können allerdings auch während der Maßnahme entzogen werden - wegen unregelmäßiger Teilnahme, Unpünktlichkeit oder sogar wegen des Äußeren. Dies sind die wahren »Fähigkeiten«, die Unternehmer Arbeitern beibringen wollen. Während die »New Deal«-Trainees ein Einkommen erzielen, das wenig über Sozialbezügen liegt, kassieren Unternehmen wie Tesco, Ford und GEC, die Plätze zur Verfügung stellen, einen Zuschuß von £ 75 pro Woche. Der »New Deal« ist keine völlig neue Initiative, sondern ein Rückgriff auf vorherige staatliche Strategien, wie das »Project Work«, das ein »Workfare«-Pilotprojekt war, oder »Jobseekers Allowance«, das Empfänger von Leistungen zwang, entweder Arbeitsangebote anzunehmen oder die Bezüge zu verlieren. »JSA« verwandelte Betroffene in Arbeitssuchende, von denen jeder einen individuellen »jobseekers«-Vertrag erhielt. Der Prozess der Vereinzelung beeinflusst die Formen des Widerstandes; viele Betroffene entschieden - und entscheiden sich - für individuelle Formen. Sie geben den Anschein, nach Arbeit zu suchen, wechseln von »JSA« zu Krankengeld, oder steigen ganz aus. Die Tatsache, dass Menschen während sie im »New Deal«-Programm sind, disziplinarischen Maßnahmen ausgesetzt sind, mag auf individuellen Widerstand hindeuten. Kollektive Gegenwehr ist jedoch im Gegensatz zum »JSA« nicht weit verbreitet. Zu einem »Groundswell«-Netzwerk verbundene »Anti-JSA groups« entstanden bereits vor Einführung des »JSA« im ganzen Land.

Brighton-Vernetzung von Arbeitslosenkämpfen

Die »Anti-JSA group« in Brighton ist die wohl erfolgreichste gewesen. Ihre Strategie war es, Kontakt zu »dole workers« (Mitarbeiter der staatlichen Fürsorge und Arbeitsvermittler) aufzubauen. Die Gruppe hatte erkannt, dass diese selbst sehr unzufrieden mit den Entwicklungen der Arbeitsvermittlung waren. Anlässlich eines Streiks wurde der Kontakt mit »dole workers« aufgenommen und Verbindungen mit militanten »dole workers« geknüpft. Da dieser Kampf ebenso im Interesse der Erwerbslosen lag, unterstützten sie ihn; die »dole workers« revanchierten sich, indem sie Informationen und Taktiken weitergaben. Am Tag der Einführung des »JSA« wurden die Arbeitsämter von über 300 Menschen belagert. Die »dole workers« nutzten die Gelegenheit zu einer Arbeitsniederlegung und der erste Tag des »JSA« ging im Chaos unter. Brighton war leider ein isoliertes Beispiel. Das gleiche gilt für »Project Work«, das schlecht finanzierte »Workfare«-Projekt der Tories. »Project Work« zwang Arbeitslose unter der Androhung, Leistungen zu streichen, für regionale Wohlfahrtsverbände, wie z.B. karitative Institutionen zu arbeiten. Diese Institutionen wurden Ziel von Besetzungen (besetzt wurde auch eine Kirche, die behauptet hatte, die Erwerbslosen bräuchten einen Ansporn, um morgens aus dem Bett zu kommen; diese Aktion endete mit einer Prügelei mit der Polizei!) und Streikposten standen täglich vor den anstößigen Institutionen (zumeist karitative Organisationen) um der Öffentlichkeit klarzumachen, dass dort Billiglöhne gezahlt werden. Im Endeffekt waren viele betroffene Organisationen zu einem peinlichen Ausstieg aus den Projekten gezwungen. Auf diese Art wurde »Project Work« in Brighton in die Knie gezwungen, aber leider geschah das nur in wenigen anderen Gebieten. Als dann der »New Deal«, ein raffiniertes und gut finanziertes Projekt, eingeführt wurde, war das »Groundswell«-Netzwerk beinahe zusammengebrochen. Im Gegensatz zum Widerstand gegen »Project Work« war die Gegenwehr gegen den »New Deal« in Brighton weniger erfolgreich. Die Werbung der Arbeitsvermittlung wurde verballhornt und überall in den Arbeitsämtern verteilt, aber es gab nur vereinzelte Streikposten und Besetzungen. Ein nennenswertes Beispiel war die Besetzung der Parteizentrale von New Labour beim EU-Gipfel in Cardiff im Juni 1998. Betroffene aus Brighton, Bolton, Newcastle und London schauten sich dort die Fußballweltmeisterschalt auf Großbildschirmen an, während sie indisches Essen zum Mitnehmen genossen.

Bristol »Fashion«

In Bristol begann der Widerstand gegen den Abbau sozialer Rechte, indem Betroffene eine Kampagne zur»Sabotage von Project Work« organisierten: Sabotage war die Hauptform der Aktion. Erwerbslose verklebten Schlüssellöcher von Unternehmen, die Beschäftigungsangebote bereitstellten, setzten Verwaltungsbeamte des Projektes unter Druck und eröffneten sogar ihre eigene gefälschte »Projekt Work«-Stellenvermittlungsfirma. Bei der Besetzung eines »Jobcenter« brachten sie eine Band mit, die Leidensgenossen unterhielt. Dieses »Jobcenter« wurde bei der Einführung des »New Deal« mit Streikposten ausgestattet, die Besetzung des Büros eines Anbieters von Arbeit folgte. Vor kurzem gab es Aktionen gegen die Einführung von »Employment Action Zones« (EAZ)-die die Ausgabe von Mobiltelefonen an Arbeitslose vorsehen- wie auch gegen den Ersatz von Geldleistungen durch Gutscheine an Asylbewerber. Aktivisten verwandelten die Büros der Labour Party in Bristol in »Enjoyment Zones«; sie forderten »Less Labour, More Party« und erklärten, die »Party is Over«. Lokale Aktivisten haben verstanden, dass der »New Deal« Bestandteil eines Angriffs der Rechten auf Sozialleistungen, Löhne und Arbeitsbedingungen ist. So ist die »Bristol Benefit Action Group« gegründet worden, um Verbindungen zwischen Erwerbslosen, Arbeitern, Studenten, Rentnern usw. zu schaffen. Das Ziel dieses Bemühens ist eine einheitliche Bewegung gegen Reformen des Sozialstaates aufzubauen.

Widerstand in Europa

Während die Regierungschefs sich treffen, um Pläne zur Effekti-vierung unserer Ausbeutung zu erarbeiten, beginnen auch wir, unseren Widerstand auf einer internationalen Ebene zu organisieren. Wir haben beobachtet, dass die EU-Regierungen voneinander lernen; die deutsche Regierung hat ihrem Programm für Jugendarbeitslose sogar einen englischen Namen gegeben. »JUMP« ähnelt dem »New Deal« insofern, als dass auch hier eine Ablehnung der Maßnahme den Verlust von Leistungen nach sich zieht. Sozialstaatliche Reformen in Deutschland und Frankreich haben dazu geführt, dass die Mittel des Europäischen Sozialfonds dazu genutzt werden, Arbeit und Trainingsmaßnahmen zu finanzieren, die angeblich das Problem »sozialer Ausgrenzung« in den Griff bekommen. »Soziale Ausgrenzung« ist das neue europäische Modewort für Ar-mut, und es ist klar, dass Arbeit als das Mittel »sozialer Integration« gesehen wird. Wieder sind die Arbeitslosen selbst das Problem, und so besteht die Politik in Frankreich, Deutschland und Großbritannien darin, soziale Beratung und Ratschläge an Arbeitslose zu erteilen. Von ihnen wird verlangt, dass sie individuelle Aktionspläne unterschreiben, die sie »in Arbeit bringen«. Der Prozess der Vereinzelung ist jedoch nicht so weit fortgeschritten wie in Großbritannien und so gab es in den letzten Jahren bedeutende Kämpfe deutscher und französischer Erwerbsloser und Arbeiter um ihre sozialen Rechte. Viele internationale Verbindungen sind durch diese Kämpfe entstanden und während die EU ihren Druck von Wohlfahrt zu aufgezwungener Arbeit koordiniert, ist es lebenswichtig, dass regionale und nationale Kampagnen Wege zum internationalen Austausch von Informationen, Ideen und Strategien des Widerstandes entwickeln. Ein Beispiel aus jüngster Zeit ist der Besuch palästinensischer Arbeitslosenaktivisten in Großbritannien, bei dem nähere Informationen über den »New Deal« eingeholt werden sollten. New Labour-Berater hatten der israelischen Regierung geholfen, ähnliche Strategien aufzubauen und die Vertreter der Palästinenser suchten Informationen von der Basis, die ihnen in ihrem Widerstand helfen konnten. Dieses Kapitel hat einige kollektive Versuche des Widerstandes gegen »Workfare« beleuchtet und zeigt, dass gemeinsame Organisation und Aktion noch möglich sind. Aber es ist entscheidend zu erkennen, dass die neoliberalen Strategien der Individualisierung von Wohlfahrt in großem Maße erfolgreich waren und es nicht möglich ist, von einer Bewegung der Erwerbslosen oder Arbeitslosen in Großbritannien zu sprechen. Der Versuch, ein nationales Netzwerk von Betroffenen durch »Groundswell« aufzubauen war kurzlebig. Es scheint, dass die meisten Gruppen, die noch existieren, mehr mit individueller Hilfestellung als mit der Organisation kollektiven Widerstandes befasst sind. Widerstand scheint individuelle Formen anzunehmen, indem Menschen »workfare«-Beschäftigungsangebote ablehnen oder vermeiden und nicht jeden Mist annehmen, wenn sie in solchen Programmen sind. Ein Großteil der Kampagnen bestand darin, »Workfare«-Projekte zu diskreditieren, doch dies hat begrenzten Erfolg bei denen, die in Workfare-Programmen sind. Die Erfahrung vorheriger Kämpfe zeigt, dass Aktionen am effektivsten sind, wenn Erwerbslose und »dole workers« zusammen kämpfen; es ist auch möglich, dass die vorgeschlagene Privatisierung der Arbeitsvermittlung Möglichkeiten zur Ausbildung vereinten Widerstandes bietet. Auf jeden Fall ist es entscheidend, dass jede wiederauflebende Bewegung in Großbritannien Verbindungen mit ihren europäischen Partnern aufbaut, da Strategien in der Reform des Sozialstaates sich auf einer europäischen Ebene entwickeln.

Andy Mathers

Fuss

Englisches Original

Übersetzung: Bettina Brömstrup

 

 

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