Hände weg von der Arbeitslosenhilfe!
Arbeit und Einkommen gerecht verteilen! Soziale Rechte und Demokratie sichern!
Dresdner Erklärung der Konferenz des Runden Tischs
der Erwerbslosen- und Sozialhilfeinitiativen
Was ist
Die »Arbeitsmarktpolitik« der jetzigen wie der vorangegangenen Bundesregierungen ist gescheitert. Trotz immer wieder neuer Anläufe, Erwerbslose in schlecht bezahlte und ungesicherte Beschäftigungsverhältnisse zu drängen, hat die Zahl der offiziell registrierten Erwerbslosen in diesem Winter die 4-Millionengrenze erneut überschritten. Tatsächlich fehlen nach Schätzungen der Gewerkschaften über 6 Millionen Arbeitsplätze in Deutschland.
Nach minimalen anfänglichen Verbesserungen hat die Regierung Schröder an die Politik der Regierung Kohl angeknüpft und ihre Gangart verschärft. Das Schröder-Blair-Papier war das Signal für eine kompromißlos neoliberale Ausrichtung. Die Bundesregierung begnügt sich nicht mehr mit einzelnen Einschnitten ins soziale Netz und Leistungskürzungen. Sie ist dabei, den deutschen Sozialstaat zur Disposition zu stellen.
Wir haben bekommen: den Einstieg in die Teilprivatisierung der Rentenversicherung mit Renteneinbußen insbesondere für Langzeiterwerbslose (monatlicher Verlust an Rentenanspruch von bis zu zwei Dritteln!); die Beibehaltung der jährlichen 3%igen Kürzung der Arbeitslosenhilfe; die flächendeckende Einführung von Kombilohn (Mainzer Modell), obwohl die laufenden »Modellversuche« seine Tauglichkeit zur Schaffung neuer Arbeitsplätze in Frage stellen; das Job-AQTIV-Gesetz, das verstärkt auf Leiharbeitsfirmen zurückgreift, die befristete Arbeitsplätze im Durchschnitt zu einem um ein Drittel geringeren Lohn anbieten.
Diese Politik liegt auf der Linie der Unternehmerforderungen. »Die deutsche Sozialhilfe verhindert die Schaffung neuer Jobs«, lautet seit langem ein Kernspruch der Arbeitgeberverbände. Sie führen einen Globalangriff auf Erwerbslose, Sozialhilfebeziehende und abhängig Beschäftigte: Kürzung der Bezugsdauer von Arbeitslosengeld, Abschaffung der Arbeitslosenhilfe, Senkung des Regelsatzes der Sozialhilfe und Aushebelung des Bedarfsdeckungsprinzips, Schaffung eines Niedriglohnsektors, in dem die unteren Löhne und Gehälter entsprechend EU-Vorgaben um 30% gesenkt werden, Aushebelung des Flächentarifs, Befristung der Beschäftigungsverhältnisse, Aushebelung des Kündigungsschutzes, Privatisierung der Alters- und Gesundheitsversorgung, Privatisierung der Arbeitsvermittlung. Alle diese Elemente bilden einen globalen Zusammenhang und können nicht einzeln betrachtet werden. Dahinter steht ein einziges Ziel: eine hohe Kapitalrendite bei amerikanischen Arbeitsbedingungen.
Es gibt in Deutschland heute gewerkschafts- und tarifvertragsfreie Betriebe - in Ostdeutschland dominieren sie; KollegInnen, die sich für den Aufbau einer betrieblichen oder gewerkschaftlichen Interessenvertretung stark machen, werden entlassen. Erwerbslose werden als Faulenzer diffamiert.
Diese Politik schafft keinen einzigen existenzsichernden Arbeitsplatz. Ihr ganzer Sinn besteht darin, Erwerbslose und Sozialhilfebeziehende aus dem Leistungsbezug zu drängen und das aus Steuern und Beiträgen erworbenen Recht auf soziale Absicherung abzuschaffen. Dafür werden sie gezwungen, Arbeiten zu erbärmlichsten Bedingungen anzunehmen. Immer mehr Menschen treibt man so in die Armut; die Reichen werden immer reicher, der Entsolidarisierung wird das Wort geredet.
Diese Politik hat System. Sie folgt dem Dogma, daß der Staat für die Schaffung von Arbeitsplätzen keine Verantwortung tragen darf. Dies sei ausschließlich Aufgabe des Marktes. Deshalb werden Kapitalbesitzern alle erdenklichen steuerlichen Erleichterungen zugeschoben, die Kassen der Sozialversicherungen geplündert, die sozialen Leistungen gekürzt und öffentliche Einrichtungen privatisiert. Bund, Länder und Gemeinden verschulden sich, um Unternehmen zu subventionieren, die Gewinne machen. Und dann wird den öffentlichen Haushalten Sparen verordnet, damit sie wieder ins Lot kommen.
»Die (privaten) Gewinne von heute sind die Arbeitsplätze von morgen«, lautet die neoliberale Doktrin. Das ist ein Märchen. Der Kampf um Marktanteile und Wettbewerbsvorteile verdrängt die lebendige Arbeit aus dem Produktionsprozeß und den Dienstleistungsbereichen und forciert die Produktivitätssteigerung. Ökonomen weisen seit langem nach, daß es eines jährlichen Wirtschaftswachstums von 7% bedürfte, um annähernd wieder Vollbeschäftigung zu erreichen. Bei der derzeitigen weltweiten Überproduktion ist das völlig illusorisch. Die Doktrin ist jedoch das Credo der EU, vielfach dargelegt in den Großen Wirtschaftspolitischen Orientierungen der Wirtschafts- und Finanzminister, die darüber bestimmen, wo es lang geht.
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Was wir wollen
Ob erwerbslos, Sozialhilfe beziehend, abhängig beschäftigt, Auszubildende, obdachlos oder Asylbewerber/in - wir sitzen alle in einem Boot. Gegen einen globalen Angriff hilft nur ein gemeinsames globales Gegenkonzept. Wir, der Runde Tisch der Erwerbslosen und Sozialhilfebeziehenden, bieten den Gewerkschaften, den Beschäftigten auf den Arbeits- und Sozialämtern, den Initiativen der Obdachlosen und Flüchtlinge, den Wohlfahrtsverbänden und Kirchen, den Jugendlichen und Auszubildenden, der Bewegung gegen die neoliberale Globalisierung und allen Menschen, die mit uns gemeinsam Erwerbslosigkeit und Armut bekämpfen wollen, an, über ein Gegenkonzept zu diskutieren, das auf Solidarität statt Konkurrenz basiert. Daraus wollen wir gemeinsame Handlungsperspektiven gewinnen. Wir wollen isolierte Abwehrkämpfe gegen Lohn- und Sozialraub überwinden und einen öffentlichen Diskurs über mögliche Alternativen anstoßen. Wir lassen uns von der Losung leiten, die über dem Weltsozialforum in Porto Alegre stand: Eine andere Welt ist möglich. Es liegt an uns, sie zu definieren und zu erstreiten.
Als Erwerbslose und Sozialhilfebeziehende bringen wir in diese Debatte einen Standpunkt ein, der darauf besteht, daß wir soziale Rechte haben:
- Wir fordern die Rücknahme von Leistungskürzungen, die Erwerbslose und Sozialhilfebeziehende in Armut drängen. Keine Abschaffung der Arbeitslosenhilfe, keine Kürzung der Bezugsdauer von Arbeitslosengeld, keine Kürzungen bei der Sozialhilfe! Wir lehnen die öffentliche Förderung unzumutbarer prekärer Beschäftigungsverhältnisse insbesondere im Niedriglohnbereich ab und erwarten die Rücknahme aller Disziplinierungsinstrumente gegen Erwerbslose und Sozialhilfebeziehende. Berufsschutz und erworbene Einkommensansprüche müssen rechtlich geschützt werden.
- Wir fordern tarifliche, existenzsichernde und armutsfeste Arbeitsplätze entsprechend unserer Qualifikation zur Gestaltung eines menschenwürdigen, selbstbestimmten Lebens. Das schließt das Recht auf aktive und umfassende Teilhabe der Einzelnen in allen Bereichen der gesellschaftlichen Entwicklung wie Wohnen, Kultur, Ausbildung, Politik und berufliche Perspektiven ein.
- Wir fordern eine bedarfsorientierte Grundsicherung für alle, die keinen existenzsichernden Arbeitsplatz haben, in Höhe von 800 Euro + Warmmiete +. Sie muß Grundlage für die gesetzliche Festlegung von Mindestlohn und Mindestrente sein.
- Wir fordern die Anerkennung und nötigenfalls Entlohnung unserer gesellschaftlich notwendigen Arbeit in den Bereichen Hilfe zur Selbsthilfe, Arbeitslosigkeit und Armut, Familienarbeit, Pflege, Kindererziehung und Nachbarschaftshilfe, Kultur und Politik. Keine Ersetzung von Erwerbsarbeitsplätzen durch Ehrenamt!
- Wir fordern den Ausbau und die öffentliche Förderung gemeinwohlorientierter Arbeitsplätze und die staatliche Unterstützung für von uns entwickelte soziale und Beschäftigungsprojekte.
Die notwendige Umverteilung von Arbeit ist sofort durch Modelle zur Arbeitszeitverkürzung und den drastischen Abbau der Überstunden umzusetzen.
Große Gewinne und Vermögen müssen zur Finanzierung herangezogen werden.
Was tun
»Wenn ich die Arbeitslosigkeit in meiner Amtszeit nicht auf die Hälfte reduzieren kann, verdiene ich nicht wiedergewählt zu werden«, hat Bundeskanzler Schröder vor vier Jahren verkündet. Das sehen wir genauso. Wir sehen auch, daß die konservative und liberale Opposition, die jetzt auf seinem Scheitern versucht, ihr Wahlsüppchen zu kochen, keine anderen Rezepte vorzuweisen hat, nur solche, die mehr Repression und Abbau sozialer und demokratischer Rechte beinhalten.
Scheinbar gibt es keine Alternative. Eine Regierung, die sich nicht dem Terror der Ökonomie beugen würde, ist derzeit nicht in Sicht. Die Gesellschaft wird dadurch gelähmt. Wir haben nur einen Ausweg: Wir müssen selber die Fantasie und den Mut entwickeln, Alternativen zu entwerfen. Gesellschaftlicher Druck, Protest, Solidarität von unten vermögen mehr, als viele von uns glauben - Seattle und Genua stehen dafür. Der Ruf: »Aufstehen für eine andere Politik« ist nach wie vor aktuell. Es braucht wieder soziale Bewegung in Deutschland.
Wir rufen deshalb zu einem gesellschaftlichen Bündnis für Arbeit, Einkommen und Menschenwürde auf. Ein solches Bündnis muß sichtbar werden in dem bundesweiten und zentralen Aktionstag am 14.September, zu dem Attac und die dgb-jugend einladen. Wir erwarten, daß sich dieses Bündnis einbringt in das Europäische Sozialforum Ende des Jahres in Italien und hoffen, daß sich daraus auch in Deutschland ein Gesellschaftliches Forum entwickeln wird, das neue Energien für Widerstand und Alternativen freisetzt. Wir wollen diese in einer europäischen Perspektive entwickeln - gerade im Hinblick auf die EU-Osterweiterung, weil wir überzeugt sind, daß gesellschaftliche Alternativen nur dann machbar sind und nicht auf Kosten anderer Völker gehen, wenn sie im europäischen und internationalen Rahmen entwickelt werden.
Unser Ausgangspunkt ist eine bundesweite Kampagne für den Erhalt der Arbeitslosenhilfe. Wir wollen sie zusammen mit Bündnispartnern gestalten.
Die Runde Tisch der Erwerbslosenorganisationen und Sozialhilfeinitiativen hat auf seiner Konferenz in Dresden dazu folgenden Stufenplan beschlossen:
- Heraus zum 1. Mai!
- Zentrale Protestaktion anläßlich des DGB-Bundeskongresses in Berlin, 27.-31.Mai
- Bundesweiter dezentraler Aktionstag aller Erwerbslosen und Sozialhilfeinitiativen (der Termin wird noch festgelegt)
- Beteiligung an und aktive Mitgestaltung des zentralen Aktionstags in Köln am 14.September.
Dresden, den 3. März 2002
Am Runden Tisch der Erwerbslosenorganisationen und Sozialhilfeinitiativen arbeiten mit:
der Arbeitslosenverband Deutschland (ALV), die Bundesarbeitsgemeinschaft der unabhängigen Erwerbslosenorganisationen (BAG-E), die Bundesarbeitsgemeinschaft der Sozialhilfeinitiativen (BAG SHI), die Europäischen Märsche gegen Erwerbslosigkeit, ungeschützte Beschäftigung und Ausgrenzung, die Koordinierungsstelle gewerkschaftlicher Arbeitslosengruppen sowie die Landeskoordinationen der Erwerbslosengruppen.
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