{"id":204,"date":"2017-11-28T13:19:19","date_gmt":"2017-11-28T12:19:19","guid":{"rendered":"https:\/\/euromarches.org\/2017\/11\/28\/revision-der-eu-entsenderichtlinie\/"},"modified":"2020-12-01T15:18:56","modified_gmt":"2020-12-01T14:18:56","slug":"revision-der-eu-entsenderichtlinie","status":"publish","type":"post","link":"https:\/\/euromarches.org\/de\/revision-der-eu-entsenderichtlinie\/","title":{"rendered":"Revision der EU-Entsenderichtlinie"},"content":{"rendered":"
von Klaus Dr\u00e4ger<\/p>\n
Der Rat der EU-Arbeits- und Sozialminister hat sich am 23.10.2017 mehrheitlich auf eine gemeinsame Position zur Reform der EU-Richtlinie zur Entsendung von Arbeitnehmern geeinigt. Osteurop\u00e4ische Mitgliedstaaten wie Polen, Ungarn, Lettland, Litauen usw. lehnen den Kompromiss ab. Von den Gewerkschaften wird er begr\u00fc\u00dft, weil endlich das Prinzip \u00ab\u00a0Gleicher Lohn f\u00fcr gleiche Arbeit am gleichen Ort\u00a0\u00bb umfassend in der Entsenderichtlinie verankert werde.<\/p>\n
Die grenz\u00fcberschreitende Entsendung und Verleihung von Arbeitnehmern geh\u00f6rt zur so genannten aktiven Dienstleistungsfreiheit, bei der sich Unternehmer und\/oder ihre Arbeitskr\u00e4fte als Dienstleistungserbringer vor\u00fcbergehend ins EU-Ausland begeben. Die geltende EU-Entsenderichtlinie von 1996 bestimmte einen \u00ab\u00a0harten Kern\u00a0\u00bb von \u201eMindestarbeitsbedingungen\u201c (Vorschriften zu Arbeitszeiten, Pausen, Arbeitssicherheit, Mindestlohn, Urlaub, Gesundheitsschutz), die von den jeweiligen Mitgliedstaaten in eigener Hoheit erlassen werden konnten. Sie strebte keine EU-weite Harmonisierung der Regeln in diesem Bereich an, sondern die Koordinierung nationalstaatlicher Politiken durch sozialpolitische Mindestvorschriften auf EU-Ebene. Gleiche Arbeitsbedingungen f\u00fcr inl\u00e4ndische und entsendete Arbeitnehmer am gleichen Ort sollten weitgehend garantiert werden, bei der Entlohnung aber nur der gleiche Mindestlohn f\u00fcr Entsende-Arbeitskr\u00e4fte.<\/p>\n
Der Europ\u00e4ische Gerichtshof (EuGH) machte mit seiner Auslegung der Entsenderichtlinie ab 2007 (F\u00e4lle Laval, Viking Line, R\u00fcffert, Luxemburg) die mit ihr beabsichtigten, zarten Versuche zur Einhegung von Sozialdumping zunichte. Aus den Mindestvorschriften der Entsenderichtlinie machte er Maximalvorschriften, die nicht \u00fcberschritten werden d\u00fcrften. Lediglich eine Verpflichtung auf gesetzliche Mindestl\u00f6hne und als allgemeinverbindlich erkl\u00e4rte Tarifvertr\u00e4ge zum Mindestentgelt (wie z.B. der Baumindestlohn in Deutschland) seien zum Schutz von entsendeten Arbeitnehmern statthaft. Entsende-Unternehmen seien ansonsten (ohne allgemeinverbindliche Tarifvertr\u00e4ge zum Mindestentgelt) nur verpflichtet, den ihn ihrem Herkunftsmitgliedstaat geltenden Mindestlohn zu zahlen.<\/p>\n
Die Mitte-links Kr\u00e4fte im Europ\u00e4ischen Parlament (EP) waren von dieser Rechtsprechung des EuGH schockiert. \u00dcber mehrere Jahre wurden die EuGH-Urteile beklagt und bedauert, mit Resolutionen des EP \u00ab\u00a0Klarstellungen\u00a0\u00bb durch die Kommission gefordert usw. In 2014 wurde eine \u00ab\u00a0Durchsetzungsrichtlinie\u00a0\u00bb zur Entsenderichtlinie verabschiedet, die sich im Wesentlichen mit der Kontrolle der Vorschriften durch die Mitgliedstaaten befasste und diesbez\u00fcglich ziemlich schwach ist. Vor dem Hintergrund der Brexit-Debatte und ihrem Fokus auf \u00ab\u00a0Sozialdumping durch die EU-Arbeitnehmerfreiz\u00fcgigkeit\u00a0\u00bb legte die EU Kommission im M\u00e4rz 2016 nun einen Vorschlag zur Revision der EU-Entsenderichtlinie vor. Propagiertes Ziel: Sozialdumping in der EU wirksam bek\u00e4mpfen.<\/p>\n
Kommission, Rat und EP sind sich einig, dass entsandte Arbeitnehmer auf Lohns\u00e4tze (inklusive Zusatzleistungen wie Schlechtwettergeld, Weihnachtsgeld etc.) und Arbeitsbedingungen (Urlaub, Lohnfortzahlung im Krankheitsfall usw.) Anspruch haben, die in Rechtsvorschriften oder allgemein verbindlichen Tarifvertr\u00e4gen des Aufnahmelandes niedergelegt sind. Die Richtlinie soll f\u00fcr alle Branchen gelten (nicht nur f\u00fcr das Baugewerbe). Mitgliedstaaten, die \u00fcber kein System der Allgemeinverbindlichkeitserkl\u00e4rung von Tarifvertr\u00e4gen verf\u00fcgen, k\u00f6nnen bestimmte andere Tarifvertr\u00e4ge oder Schiedsspr\u00fcche zugrunde legen. Gleicher Lohn f\u00fcr gleiche Arbeit am gleichen Ort \u2013 dieses Prinzip soll auch f\u00fcr entsandte Leiharbeitskr\u00e4fte gelten.<\/p>\n
Die Arbeits- und Sozialminister wollen die Entsendedauer auf 12 Monate (in Ausnahmef\u00e4llen auf Antrag des Entsendeunternehmens auf 18 Monate) begrenzen, EP und Kommission auf 24 Monate. Innerhalb dieser Frist kann das Entsendeunternehmen weiterhin Sozialabgaben in seinem Herkunftsland bezahlen, bei \u00dcberschreitung dieser Periode w\u00e4ren Sozialabgaben etc. im Zielland zu entrichten. Die durchschnittliche Entsendedauer betr\u00e4gt laut Kommission aktuell allerdings nur 4 Monate. K\u00e4me es bei den Kernpunkten Entlohnung und Arbeitsbedingungen zu einer Einigung zwischen Rat und EP, w\u00e4re dies zumindest auf dem Papier ein deutlicher Fortschritt gegen\u00fcber der derzeitigen Rechtslage bei der Arbeitnehmer-Entsendung.<\/p>\n
Allerdings gibt es gegenl\u00e4ufige Entwicklungen. Erstens wurde das Speditionsgewerbe von der Entsenderichtlinie ausgeklammert. Die bestehende EU-Richtlinie zum Transportsektor soll unter anderem mit dem Ziel \u00fcberarbeitet werden, Lenkzeiten auszuweiten und Ruhezeiten zu verk\u00fcrzen. Die Kommission klagt vor dem EuGH dagegen, dass Deutschland, Frankreich und \u00d6sterreich ihre Mindestl\u00f6hne f\u00fcr ausl\u00e4ndische Kraftfahrer im Inland f\u00fcr verbindlich erkl\u00e4ren.<\/p>\n
Zweitens gelten weiterhin die schwachen Vorschriften der \u00ab\u00a0Durchsetzungsrichtlinie\u00a0\u00bb zu den Kontrollrechten der Mitgliedstaaten bei der Arbeitnehmer-Entsendung. Zahlreiche Entsendeunternehmen haben findige, legale (und vielfach illegale) Methoden entwickelt, schon die bestehenden Mindestlohnregeln der geltenden Entsenderichtlinie zu unterlaufen. (1)<\/p>\n
Drittens schl\u00e4gt die EU-Kommission die Einf\u00fchrung einer elektronischen Dienstleistungskarte (insbesondere f\u00fcr die Bauwirtschaft) vor. Einzelpersonen k\u00f6nnen diese in ihrem Herkunftsland beantragen und EU-weit damit als formell Selbst\u00e4ndige arbeiten. Beh\u00f6rden und Gerichte im Zielland k\u00f6nnen diese bei Verdacht auf oder Nachweis von Scheinselbst\u00e4ndigkeit nicht entziehen, sondern nur die entsprechenden Institutionen im Herkunftsland. Statt als entsandte Arbeitnehmer treten die Arbeitskr\u00e4fte dann als Solo-Selbst\u00e4ndige auf (z.B. Maurer, Fliesenleger etc.) auf, die keine Sozialabgaben zu entrichten haben und ihre Preise bis zur Selbstausbeutung senken k\u00f6nnen. So w\u00fcrde ein riesiges Scheunentor f\u00fcr die F\u00f6rderung von Scheinselbst\u00e4ndigkeit und Sozialdumping an anderer Stelle aufgemacht. (2) Eine konsistente Linie gegen Sozialdumping ist bei der EU nicht zu erkennen.<\/p>\n
(1)Siehe z.B. \u00ab\u00a0Der Mindestlohn, seine Umgehung und ein riesiges Gef\u00e4lle zuungunsten der \u00ab\u00a0guten\u00a0\u00bb Arbeitgeber. Das Beispiel Bauwirtschaft\u00a0\u00bb; https:\/\/aktuelle-sozialpolitik.blogspot.de\/2016\/04\/93.html<\/p>\n
(2) Siehe z.B. IG BAU zur Dienstleistungskarte; https:\/\/www.igbau.de\/dienstleistungskarte-loest-keine-probleme.html<\/p>\n","protected":false},"excerpt":{"rendered":"
Alles wird gut? von Klaus Dräger Der Rat der EU-Arbeits- und Sozialminister hat sich am 23.10.2017 mehrheitlich auf eine gemeinsame Position zur Reform der EU-Richtlinie zur Entsendung von Arbeitnehmern geeinigt. […]<\/p>\n","protected":false},"author":3,"featured_media":0,"comment_status":"open","ping_status":"open","sticky":false,"template":"","format":"standard","meta":[],"categories":[9,5],"tags":[],"yoast_head":"\n