Minimex selber schuldChristiane Maigre
Zur Stunde wo Belgien den Vorsitz der Europäischen Union übernimmt, legt unsere Regierung Wert darauf, ihre Unterstützung für die Empfehlungen der Europäischen Kommission kundzutun, die meint, daß unser Sozialversicherungssystem zu bequem sei. Unser Minister für soziale Integration, Johan Vande Lotte, hat einen Gesetzesentwurf vorgelegt, mit dem er die geltenden Rechtsgrundlagen für das Existenzminimum verändern will. Das »Minimex« würde in ein »Recht auf soziale Integration sei es in Form einer Anhaltung zur Arbeit sei es eines Grundeinkommens« verwandelt. Im Gesetzesentwurf wird der individuelle Eingliederungsvertrag für alle, die Minimex erhalten, obligatorisch. Die BezieherInnen von Minimex, bei denen vorausgesetzt wird, daß sie sozial nicht integriert sind, weil sie keiner Erwerbsarbeit nachgehen, werden gezwungen, einen Vertrag mit dem Arbeitsamt (CPAS) zu unterzeichnen, der sie zu einer Wiederaufnahme der Erwerbsarbeit drängt. Dem Druck werden sich nur Personen entziehen können, die gesundheitliche oder Gründe der Gleichberechtigung (?) geltend machen können. Aber selbst für diese wird der Vertrag einen anderen auf ihre Person zugeschnittenen Vorschlag enthalten und verpflichtend sein. Dieser Gesetzesentwurf paßt gut zu dem, was man unter dem aktivierenden Sozialstaat versteht. In der Begründung kann man lesen: »Jeder hat ein Recht auf eine unabhängige, aber auch verantwortliche Existenz. Solidarität ist nicht synonym mit ohnmächtiger Resignation.« Wieder einmal wird die Last der Verantwortung für die fehlende Arbeit auf den Einzelnen ab gewälzt. Man kennt die Leier: Wenn der Arbeitssuchende (in diesem Fall der Bezieher von Minimex) keinen Job findet, ist das seine Schuld. Durch diesen Druck und diese Schuldzuweisung drängt man die Leistungsbeziehenden, gleich welche Arbeit anzunehmen, unter gleich welchen Bedingungen, auch ungeschützte Beschäftigungen, befristete Arbeitsverhältnisse und schlecht entlohnte. Nirgendwo im Gesetzentwurf ist die Rede von einer angemessenen Entlohnung. [...] Der Entwurf sagt auch, daß die Entlohnung der so in Arbeit Gesetzten mindestens so hoch sein muß wie der Minimex. Im Klartext: Wenn jemand einen Job findet, bei dem er seine Stütze verdient, muß er ihn annehmen. Bei den Arbeitsämtern kennt man schon Leute, die gesperrt worden sind, weil sie sich geweigert hatten, für einen Lohn zu arbeiten, den sie als unzureichend empfanden. Mit dem neuen Gesetz wird der Druck noch stärker sein: die Leistungsbeziehenden werden nicht mehr die Wahl haben, eine Arbeit abzulehnen. In den letzten Jahren haben die ungeschützten Beschäftigungsverhältnisse zugenommen. Das sind befristete Arbeitsverhältnisse zu niedrigsten Löhnen. Sie erlauben den Betroffenen nicht, aus ihren Schwierigkeiten herauszukommen und die elementaren Probleme ihres Alltagslebens in den Griff zu bekommen. Mit solchen Verträgen kann man kein menschenwürdiges Leben führen und der Zugang zu den elementaren sozialen Rechten ist in Frage gestellt. Nach Auffassung des Ministers stellen diese Eingliederungsverträge eine Maßnahme der »sozialen Integration« dar. Die Mehrzahl der Arbeitsverträge, die BezieherInnen von Minimex haben unterschreiben müssen, waren befristete; und darauf ist es nicht möglich, eine Lebensplanung aufzubauen. Und was passiert, wenn der Vertrag ausläuft? Die Statistiken zeigen, daß es nur einer Minderheit gelingt, eine neue Arbeit zu finden, während die anderen wieder in den Status der Erwerbslosigkeit zurückfallen. Im aktivierenden Sozialstaat zählt nur ein: die Schönerung der Statistik um jeden Preis. Darin geht der Gesetzesentwurf völlig konform mit der Europäischen Kommission. |
Die Entwicklung der Euromärsche
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