Wurden wir in Nizza gehört?

Nicht wirklich. Doch wir konnten einige Punkte machen.

1. Die EU-Grundrechtecharta, die die sozialen Rechte nicht garantiert, wurde nicht in den Vertrag aufgenommen.

Bei der Abstimmung im Europa-Parlament war vorgesehen, die Charta mit feierlichem Pomp in Nizza zu verkünden und sie in den Vertrag aufzunehmen. Die Zweideutigkeit, mit der die gemeinsame Erklärung des EGB und der Plattform der sozialen NGOs verfaßt war (»für eine verbesserte Charta«, die jedoch in Nizza nicht verbessert werden konnte), schien eine Grundlage dafür zu liefern. Am 6. und 7. Dezember ließ ein »anderes Europa« jedoch lautstark seinen Protest gegen die Ausklammerung der sozialen Rechte aus dem rechtlich bindenden Vertrag vernehmen. Infolge dieser Mobilisierungen wurde die Charta zum Zorn der EP-Präsidentin Nicole Fontaine (eine Liberale von der UDF, Frankreich) auf die Schnelle, ohne Trommeln und Fanfaren, unterzeichnet. Es wurde beschlossen, »die Frage nach dem Status der Charta später zu prüfen« (vgl. die Schlußfolgerungen des Europäischen Rats in Nizza am 7./8./9. Dezember 2000).

Offiziell heißt es, die Briten und die Dänen hätten eine Aufnahme der Charta in den Vertrag abgelehnt. Das sind diplomatische Spitzfindigkeiten, um nicht zu zeigen, daß man einem Mobilisierungsdruck nachgegeben hat. Hieß es nicht noch vor ein paar Wochen, daß Jospin nach London gereist war, um seinen Freund Tony zu überzeugen? Hat man vergessen, daß Mr. Goldsmith, Mitautor der Charta und persönlicher Vertreter von Tony Blair, der mit Erfolg alles dafür getan hat, daß die sozialen Rechte in ihr nicht gesichert werden, schriftlich und mündlich sein Plazet gegeben hatte?
Das Kind wurde dennoch nicht mit dem Bade ausgeschüttet. Jene, die mit der Charta zufrieden waren und sind, haben nichts verloren. Die politischen und Bürgerrechte sind wortwörtlich aus der Menschenrechtskonvention von 1950 abgeschrieben. Es ist jederzeit möglich, an den Europäischen Gerichtshof in Straßburg zu appellieren, um diese Rechte einzuklagen. Nebenbei bemerkt, die in den letzten 50 Jahren in Bezug auf die Konvention erreichten Fortschritte in der Rechtsprechung und Rechtslehre haben in die EU-Grundrechtecharta nicht einmal Eingang gefunden! Der einzige neue Artikel, den sie enthält, betrifft das Verbot des Klonens von Menschen. Die gewerkschaftlichen Rechte, die dem EGB wichtig sind, sind soweit auch in den Verträgen und Direktiven der EU enthalten.
Die Auseinandersetzung um eine andere Charta bleibt offen.

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Der Artikel 137

Der Artikel 133

2. Die soziale Agenda für die EU wurde neu formuliert.

Der Entwurf der EU-Kommission für eine soziale Agenda für die kommenden fünf Jahre wurde von der französischen Präsidentschaft im Rat der Arbeits- und Sozialminister neu geschrieben. Zur großen Freude der Kommissarin für Soziales, Diamantopoulou, die ihn in der britischen Presse als »archaisch« qualifiziert hatte. Jetzt finden sich darin achtbare Formulierungen, wie man sie lange Zeit in einem solchen Dokument nicht mehr gelesen hat. Das Ziel der »Konvergenz im Fortschritt« ist nun wieder enthalten, auch das der Bestimmung eines »gesicherten Mindestbedarfs, der durch die Systeme der sozialen Sicherheit gemäß den Empfehlungen von1992 zu decken sei« (Anhang I der Schlußfolgerungen des Rats).

3. Der Artikel 137 im Vertrag von Nizza

Im August hatte die französische Präsidentschaft vorgeschlagen, in den Vertrag (Art. 137, der die sozialen Bestimmungen behandelt) einen Passus über »Bezugsbedingungen von Arbeitslosengeld« aufzunehmen. Eine mit qualifizierter Mehrheit beschlossene europäische Richtlinie sollte die Bedingungen für den Leistungsbezug, die Grenzen für den Bezug von Arbeitslosengeld und die Kontrolle über die Verfügbarkeit von Erwerbslosen für den Arbeitsmarkt definieren. Auf einem vom EP organisierten Kolloquium über die soziale Agenda haben wir dieses Vorhaben heftig angegriffen. Die hohen französischen Beamten waren sichtlich verlegen, wie auf frischer Tat ertappte Diebe. Das Vorhaben wurde sofort fallengelassen. Es hätte in Nizza wieder ausgepackt werden können - aber nein. Auch das ein Pluspunkt.

4. Der Artikel 133 im Vertrag von Nizza

Der Art. 133 wird nur teilweise revidiert. Das Votum mit qualifizierterMehrheit wird auf den Handel mit Dienstleistungen ausdehnt, aber in Fragen der Kultur, der Gesundheit und der Bildung und Erziehung ist weiterhin Einstimmigkeit erforderlich. Allerdings ist der Text so gewunden formuliert, daß alle Deutungsmöglichkeiten offen sind.

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