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Der Ansatz der Europäischen Märsche gegen Erwerbslosigkeit, ungeschützte Beschäftigung und Ausgrenzung
Ein garantiertes, individuelles Mindesteinkommen
- ausgedrückt in Anteil am gesellschaftlichen Reichtum (50% BIP pro Kopf)
I.
Das Vertragswerk von Maastricht (1994) bis Nizza (2000) sowie die darauf fußende EU-Verfassung (2004) schreiben für die 25 Länder der Europäischen Union verbindlich eine neoliberale Wirtschaftsordnung vor. Dies bedeutet:
- Das Ziel der Union ist dargelegt in Art. I, 3-2: »Die Union bietet ihren Bürgerinnen und Bürgern einen Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts ohne Binnengrenzen und einen Binnenmarkt mit freiem und unverfälschtem Wettbewerb.«
Und in Art. I, 3-3: »Die Union strebt die nachhaltige Entwicklung Europas auf der Grundlage eines ausgewogenen Wirtschaftswachstums an [und] einein hohem Maße wettbewerbsfähige soziale Marktwirtschaft...«
- Oberstes Prinzip der Geldpolitik der Europäischen Zentralbank wie auch der koordinierten Wirtschaftspolitik des Rats der Wirtschafts- und Finanzminister (EcoFin) ist die Preisstabilität und die Senkung der Haushaltsverschuldung (unter 3%) sowie der Staatsverschuldung (unter 60%).
- Die »Grundzüge der Wirtschaftspolitik« sind der zentrale Bezugspunkt für die Koordinierung der Wirtschaftspolitik der Mitgliedstaaten. Die Beschäftigungspolitischen Leitlinien von Rat und Kommission, sowie die Berschäftigungspolitik der Mitgliedstaaten müssen »im Einklang mit den Grundzügen der Wirtschaftspolitik stehen« (Art. III-98).
- Im Mittelpunkt der Grundzüge der Wirtschaftspolitik für den Zeitraum 2003 - 2005 steht der Beitrag, den die Wirtschaftspolitik zur Durchführung des Programms von Lissabon leistet. Die Agenda von Lissabon (März 2000) definiert die politische Rahmenzielsetzung, auf die die Politiken der EU orientiert und im Hinblick auf welche sie koordiniert werden sollen.
Die Agenda von Lissabon verfolgt das Ziel, »Europa bis zum Jahr 2010 zur wettbewerbsfähigsten und dynamischsten, wissensbasierten Ökonomie der Welt« zu machen. Wirtschafts-, Sozial- und Beschäftigungspolitik stehen ausschließlich unter der Prämisse, den ökonomischen Krieg vorrangig mit den USA um Märkte und Technologievorsprünge zu gewinnen. Die Wachstumslücke (Bruttoinlandsprodukt der EU pro Kopf) und die Produktivitätslücke (Produktivität pro Arbeitstunde) gegenüber den USA soll bis zum Jahr 2010 geschlossen werden.
- Die Agenda von Lissabon umfaßt die Bereiche Beschäftigung, soziale Eingliederung, Gesundheit und Rente. Im einzelnen legt sie fest, bis zum Jahr 2010:
- die Altersruhegrenzen auf 67 Jahre anzuheben;
- die Renten- und Gesundheitssysteme »langfristig finanzierbar« zu machen durch Ausbau der privat finanzierten Anteile;
- Armut zu bekämpfen durch Wiedereingliederung von Erwerbsfähigen in den 1.Arbeitsmarkt um jeden Preis;
- sozialen Schutz zu beseitigen, wo er ein Hindernis für die Wiederaufnahme von Arbeit ist;
- die Erwerbsquote auf 70% für Männer (65% für Frauen) anzuheben;
- die unteren Löhne und Gehälter um 20-30% zu senken
(»Um die gewünschten Resultate zu erzielen, erfordert eine Lohnspreizung nach unten eine Senkung der Lohnkosten bei den gering qualifizierten Tätigkeiten um 20 bis 30%, wie dies z.B. in den USA in den 70er und 80er Jahren der Fall gewesen ist.« Kommunikation der EU-Kommission: »Wachstum und Beschäftigung im Rahmen der Stabilität der Europäischen Währungsunion«. Politisch-ökonomische Betrachtungen im Hinblick auf die Großen Orientierungen 1998. COM (1998, Mai 1997)
- die Ausbreitung der neuen IuK-Technologien und die Investitionen in diesen Bereich zu fördern.
- Ab 2006 sollen die Bereiche soziale Eingliederung, Armutsbekämpfung, Rente und Gesundheit in einem Bericht zusammengefaßt und gemeinsam mit den Großen Wirtschaftspolitischen Orientierungen und den Beschäftigungspolitischen Leitlinien angenommen werden. Das bedeutet eine vollständige Dominanz des Rats der Wirtschafts- und Finanzminister (EcoFin) über die sozialpolitischen Vorhaben.
Der EcoFin verkündet seine Prioritäten über die Grundzüge der Wirtschaftspolitik. Er fordert von den Mitgliedstaaten Sozialreformen, »die die Teilnahme am Arbeitsmarkt fördern und die Falle der Armut und Erwerbslosigkeit vermeiden« (durch erhöhte Mobilität der Arbeitskräfte sowie erhöhte Erwerbsquote der Älteren, Frauen, Jugendlichen und MigrantInnen) sowie Steuerreformen und Entlohnungssysteme, die den Beziehungen zwischen der gesellschaftlichen Entwicklung, der Preisstabilität und den Bedingungen auf dem Arbeitsmarkt Rechnung tragen.
- Während die Geldpolitik, die Zoll- und Handelspolitik im Bereich der ausschließlichen Zuständigkeit der EU liegen, die Zuständigkeit für Binnenmarkt, Verkehr, Energie, Umwelt- und Landwirtschaft immerhin noch zwischen EU und Einzelstaaten geteilt wird, liegt die Beschäftigungs- und Arbeitsmarktpolitik ausschließlich im Bereich der Einzelstaaten. Über die Gestaltung der sozialen Sicherungssysteme, den Kündigungsschutz, die Mitbestimmung und die Beschäftigungsbedingungen für Nicht-EU-Angehörige kann der Rat nur einstimmig beschließen. Über Arbeitsentgelt, Streik-und Aussperrungsrecht sowie Koalitionsrecht kann er gar nicht beschließen.
Das bedeutet: Die Verfassung verordnet eine Wirtschaftsunion auf neoliberaler Grundlage und schließt gleichzeitig eine Sozialunion aus.
EU-Richtlinien mit weitreichenden Auswirkungen wie z.B. die über die Liberalisierung und Privatisierung der Dienstleistungen müssen, wenn sie (mit qualifizierter Mehrheit) angenommen wird, in nationales Recht umgesetzt werden. Die sozialen Auswirkungen hingegen dürfen nicht durch EU-weite soziale Regelungen abgefedert werden.
Ebenfalls nicht in EU-Zuständigkeit fällt die Steuerpolitik. Hier gilt im Gegenteil der Steuerwettbewerb zwischen den Einzelstaaten.
Deshalb sagen die Europäischen Märsche gegen Erwerbslosigkeit, ungeschützte Beschäftigung und Ausgrenzung NEIN zu dieser EU-Verfassung und fordern Volksabstimmungen in den Mitgliedstaaten.
Um Europa zu einem Raum des Rechts, des Wohlstands, des Friedens und der sozialen Sicherheit zu machen, brauchen wir eine andere Verfassung. Eine Verfassung, die hervorgeht aus einem verfassungsgebenden Prozess, der die Bevölkerungen aktiv einbezieht, in einer verfassungsgebenden Versammlung beraten wird, und die eine Angleichung der Bürgerrechte, politischen Rechte und sozialen Rechte sowie der Lebens- und Arbeitsbedingungen auf hohem Niveau sichert.
II.
Durch die Osterweiterung ist die Kluft zwischen Arm und Reich in der EU enorm gestiegen. Das ärmste Land in der EU, Lettland, erwirtschaftet ein Bruttoinlandsprodukt (BIP) pro Kopf von 725 Euro; das reichste Land, Luxemburg, ein BIP/p.K. von 3751 Euro pro Jahr - das sind mehr als fünf mal soviel. Die Armutsgrenze nach EU-Kriterien (60% des mittleren Einkommens) liegt in Estland bei 32 Euro im Monat (das ist 1 Euro am Tag), in der Slowakei bei 35 Euro, in Deutschland bei 586 Euro und in Luxemburg bei 922 Euro. Selbst Portugal und Griechenland sind mit einer Armutsgrenze von 180 bzw. 201 Euro noch weit vom »reichsten« osteuropäischen Land, Ungarn (114 Euro), entfernt.
Die armen Länder versuchen zu bescheidenem Wohlstand zu kommen, indem sie ihre Länder als Steuerparadiese und als Billiglohnländer anpreisen. Westeuropäische Konzerne haben im vergangenen Jahrzehnt gut gehende Betriebe in Polen, Ungarn und Tschechien aufgekauft, um Zugang zum heimischen Markt zu haben und einen zusätzlichen Konkurrenten auszuschalten. Der Großteil der großen Industrie dieser Länder liegt inzwischen in ausländischer Hand. Der Beitritt dieser Länder zur EU bedeutet, dass das, was von ihrer einheimischen Industrie geblieben ist (insbesondere die Landwirtschaft und der Bergbau) durch die produktivere Westkonkurrenz zerstört werden wird - was die Erwerbslosigkeit, die eh schon durchschnittlich zwischen 20 und 30% liegt, weiter in die Höhe treiben wird.
Das bedeutet: Nur ein kleiner Teil der Bevölkerung wird durch Anlockung ausländischer Direktinvestitionen zu Wohlstand kommen; der Mehrzahl verarmt und die Wanderungswellen auf der Suche nach Arbeit im Westen werden anhalten. Die EU forciert diese Entwicklung durch die Förderung der »Mobilität« und die Herstellung eines europäischen Arbeitsmarkts.
Die Europäischen Märsche sagen: Die Forcierung des Wettbewerbs zwischen so verschieden produktiven Wirtschaften - zumal in einer Periode anhaltender ökonomischer Krise - führt zur Zerstörung regionaler wirtschaftlicher Entwicklungspotentiale, treibt die Menschen in Verzweiflung und schafft im Binnenraum EU zunehmend sozialen Sprengstoff, der sich im Aufschwung von Nationalismus und Rechtsradikalismus ein Ventil sucht.
Die Förderung von uneingeschränktem Wettbewerb ist kein geeignetes Mittel, die Lebens- und Arbeitsbedingungen innerhalb der EU anzugleichen. Im Gegenteil müssen wir kämpfen für gemeinsame soziale Mindeststandards in der gesamten EU, die sich orientieren am Bruttoinlandsprodukt der Einzelstaaten und die nicht unterschritten werden dürfen.
Wir brauchen EU-weit:
- angeglichene Steuersätze;
- eine untere Grenze für Sozialtransfers, Renten und Löhne;
- gemeinsame Höchstwerte für Arbeitszeiten, auf einem drastisch reduzierten Niveau, das dem Anstieg der Produktivität Rechnung trägt (30 Stunden Woche).
III.
Die Europäischen Märsche fordern für Renten und Sozialtransfers ein Mindesteinkommen von 50% des BIP pro Kopf.
- Dieses Mindesteinkommen ist gedacht als ein Damm, ein Schutz auf unterstem Niveau, der nicht unterschritten werden darf. Es betrifft zum einen die Mindestrente, zum anderen aber ersetzt es die Sozialhilfe, die es in den verschiedenen europäischen Sicherungssystemen gibt und die in vielen unterhalb der Armutsgrenze liegt. Selbst in Ländern wie Frankreich, Italien, Spanien und Großbritannien liegen die Sozialhilfesätze unter dem Armutsniveau. Wenn in Deutschland am 1.1.2005 Hartz IV in Kraft tritt, ist auch die deutsche Sozialhilfe nicht mehr armutsfest, und das neue Sozialgeld wie auch das ALG II rutschen unter die EU-Armutsgrenze.
- Das Mindesteinkommen (sofern es nicht die Rente betrifft) muss sein:
- individuell: Partnereinkommen werden nicht angerechnet;
- garantiert (es muss einen Rechtsanspruch darauf geben);
- ohne Bedürftigskeitsprüfung (dieses Relikt aus der Zeit der Armengesetze und der Fürsorge gehört definitiv überwunden);
- es ist nicht bedingungslos: wer von seinem Vermögen leben kann, braucht es nicht;
- es ersetzt nicht die Arbeitslosenversicherung: es stellt kein von der Arbeit abgekoppeltes Einkommen dar, sondern eine soziale Sicherung für den Fall, dass die Wirtschaft oder die Politik nicht in der Lage sind, jedem eine Erwerbstätigkeit zur Verfügung zu stellen, von der sie oder er in Würde leben kann.
Die nach wie vor steigende Massenerwerbslosigkeit und die Krise der Arbeitsgesellschaft, die in den Industriegesellschaften damit einhergeht, kann nur gelöst werden, wenn die Arbeitswelt selbst von Grund auf neu geordnet wird;
- das Mindesteinkommen hat deshalb auch einen Abstand zum Mindestlohn, der deutlich darüber liegen muss;
- das Mindesteinkommen muss ausgedrückt werden in einem Anteil am gesellschaftlichen Reichtum. Dieser Reichtum wird von der Erwerbstätigen, zumeist abhängig Beschäftigten, geschaffen; die zwangsweise Ausgrenzung eines Teils von ihnen aus dem Arbeitsmarkt (meist gegen ihren Willen) ändert an diesem Tatbestand nichts. Alles in der EU wird am BIP gemessen, nur die Armutgrenze nicht, das fällt auf. Im Unterschied zu den anderen geltenden Armutskriterien: Warenkorb, Einkommens- und Verbraucherstichprobe, mittleres Einkommen oder Durchschnittseinkommen ist das BIP die einzige Größe, die nicht der Willkür unterliegt bzw. die regelmäßig steigt (mit ganz wenigen Ausnahmen am Ende eines Konjunkturzyklus).
- In Anlehnung an das Mindesteinkommenmodell der Rentnerorganisation des Europäischen Gewerkschaftsbunds (FERPA) fordern die Europäischen Märsche 50% des BIP pro Kopf. Diese Forderung entspricht in den Ländern der EU der 15 durchgängig den Forderungen der Erwerbslosenorganisationen bzw. Bedarfsrechnungen für einen Regelsatz der Sozialhilfe. In Deutschland wären dies beim Stand von 2003 1009 Euro pro Monat. Das entpricht etwa der Forderung von Erwerbslosenorganisationen nach 800 Euro plus Warmmiete.
In den neuen Beitrittsländern gibt es zumeist keine Erwerbslosenbewegungen, die Forderungskataloge erarbeiten. Die meisten von ihnen haben ein System der sozialen Sicherung, das diesen Namen kaum verdient. Die Formel "50% BIP/p.K." wird deshalb dort kaum angewandt werden können. Hingegen ist es auch in diesen Ländern wichtig, eine Mindestsicherung als Anteil am gesellschaftlichen Reichtum zu formulieren. Ein entsprechender Vorschlag muss noch ausgearbeitet werden.
(s. Tabelle)
IV.
Das Mindesteinkommen ist für sich genommen keine Strategie aus der Erwerbslosigkeit. Eine solche muss an der Um- und Neuverteilung der vorhandenen Arbeit selbst ansetzen. Die zunehmende Produktivität der Arbeit, der hohe Bildungsstandard und die technologischen Möglichkeiten, die Kreativität der Arbeit zu entfalten, stehen heute in krassem Widerspruch zu den Erfordernissen des Kapitals, Arbeit so billig wie möglich zu machen. Die Lohnkosten stellen längst - gerade in der Großindustrie - eine fast zu vernachlässigende Größe dar. Trotzdem konzentrieren sich alle Angriffe der Industrie darauf, aus diesem Anteil noch durch Lohnsenkungen und Arbeitszeitverlängerung den letzten Blutstropfen herauszuholen, weil das der einzige Posten ist, der ausgebeutet werden kann - wo die Beschäftigten also mehr Wert erwirtschaften als sie an Gegenwert nach Hause tragen.
Die Arbeit muss von der Fremdbestimmung befreit werden, der sie im kapitalistischen Produktionsprozess unterworfen ist. Menschen wollen arbeiten, weil sie für die Gesellschaft nützlich sein wollen, weil sie Anerkennung für Leistung wollen, weil sie schöpferisch tätig sein wollen - und manchmal auch nur, weil sie dafür einen anständigen Lohn nach Hause tragen wollen, von dem sie sich was leisten können. Es gibt keinen Grund, warum es vor 30 Jahren möglich war, (fast) allen Erwerbsfähigen in der EU eine solche Arbeit zu bieten, und warum dies heute nicht mehr möglich sein soll. Jahr für Jahr steigt der gesellschaftliche Reichtum, der von den Erwerbstätigen geschaffen wird. Wenn dennoch für die, die den Reichtum hervorgebracht haben, immer weniger davon übrig bleibt, dann liegt das ausschließlich daran, dass der kleine Teil der Vermögenden und Kapitalbesitzer sich widerrechtlich einen immer größeren Teil dieses Reichtums aneignen. Durchgesetzt wird dies über die zahlreichen »Steuerreformen« - große Geldgeschenke an die Vermögenden un Kapitalgesellschaften. Begründet wird es jedoch mit dem zunehmend härteren globalen Wettbewerb, d.h. mit dem der kapitalistischen Produktionsweise innewohnenden Zwang, immer mehr Waren abzusetzen, Märkte zu kontrollieren, Kapital zu akkumulieren. Was einzelbetrieblich eine ökonomische Rationalität zu haben scheint, führt ganze Gesellschaften in den Kollaps.
Eine Neubestimmung der Arbeit muss sich daher vom Gedanken der Konkurrenz aller gegen alle lösen und Formen öffentlicher Debatte und Willensbildung über die gesellschaftlich notwendige Arbeit, die Prioritäten für Investitionen, das Verhältnis von gesellschaftlich notwendiger zu überschüssiger Arbeit, die Neubewertung von Arbeit - insbesondere im Bereich der personalen Dienstleistungen - und über das Verhältnis von Produktions- und Reproduktionsarbeit finden.
Der Staat ist in der Pflicht, gesellschaftlich sinnvolle Arbeitsplätze zu einer tariflich angemessenen Entlohnung zur Verfügung zu stellen. Staatliche Bezuschussung zu privat gezahlten Löhnen stellt eine zusätzliche Lohnkonkurrenz dar, die auf Kosten der abhängig Beschäftigten geht. Beschäftigung im öffentlichen Sektor darf nicht unter Tarif erfolgen.
V.
Das Mindesteinkommen ist aber dennoch eine Forderung, auf die im Kampf gegen die Massenarbeitslosigkeit nicht verzichtet werden kann. Die Agenda von Lissabon propagiert: Es wird wieder genug Arbeit geben, wenn sie nur billig genug ist. Das entspricht der neoliberalen Ideologie, wonach es keine Erwerbslosigkeit gibt, nur Arbeitskräfte, die an die Erfordernisse des Arbeitsmarkt nicht angepaßt sind: weil zu teuer, oder überqualifiziert, o.a.
Eine Strategie, die auf die Losung: Hauptsache Arbeit setzt, befördert tatkräftig den Verfall der Löhne und der Qualifikationen; sie kann vielleicht in Zeiten guter Konjunktur die Erwerbslosenzahl senken (wie in Frankreich oder in den Niederlanden z.B.), aber zum Preis einer chronischen Unterbeschäftigung, die sich in Zeiten des wirtschaftlichen Rückgangs umso schmerzhafter spürbar macht. Und eben um den Preis eine massiven Verarmung.
Eine notwendige Ergänzung des Mindesteinkommens ist deshalb der gesetzliche Mindestlohn, der darauf aufbauen muss. Die Gewerkschaft NGG fordert 1500 Euro brutto, das scheint uns eine akzeptable Referenzgröße. Der Mindestlohn muss steuerfrei sein. Tariflöhne dürfen den gesetzlichen Mindestlohn nicht unterschreiten.
Thematisierung von Arbeitszeitverkürzung ohne Thematisierung des Lohnausgleichs führt zu Flexibilisierung, Lohnverlust und dem Zwang für Einzelne, seine Arbeitszeit auszudehnen, damit er/sie am Ende des Monats auf sein/ihr Einkommen kommt.
Thematisierung des Einkommens ohne Thematisierung der Arbeit arbeitet dem liberalen Konzept der Entkopplung von Arbeit und Einkommen in die Hände, das darauf hinausläuft, die überschüssigen Arbeitskräfte mit Hilfe einer MiniSicherung dauerhaft aus dem Erwerbsleben auszugrenzen und die drängende Frage nach einer Neuordnung der Arbeitswelt unbeantwortet zu lassen. Deshalb sprechen die Europäischen Märsche auch von einem Mindesteinkommen, nicht von einem Grundeinkommen. Bemerkenswerterweise unternimmt es kaum einer dieser Ansätze, die Höhe eines Grundeinkommens zu beziffern.
Es führt deshalb aus der Sicht der Europäischen Märsche kein Weg daran vorbei, die vielen Angriffen auf die Erwerbslosen wie auf die abhängig Beschäftigten mit einem Paket von Forderungen zu beantworten, das nicht aufgeschnürt werden kann:
- Arbeitszeitverkürzung auf 30 Stunden europaweit;
- 1000 Euro Mindesteinkommen;
- 1500 Euro Mindestlohn.
Dieses Paket ist geeignet, eine Brücke zu schlagen zwischen den Erwerbslosen, der prekär Beschäftigten und sog. Normalarbeitern, deren Arbeitstag zusehends mehr ausgedehnt wird, und eine gemeinsame Zukunftsperspektive zu schaffen.
Angela Klein
Berlin, 11.9.2004
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I EU-Verträge und Verfassung
II Osterweiterung
III Mindesteinkommen
IV Arbeit
V Mindestlohn
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