Gipfel der Wirtschaftsbosse

Prodi: Weniger Regulierung der Wirtschaft angekündigt

 

 

Weiträumig abgesperrt fand am zweiten Juniwochenende unter dem Namen »European Business Summit« der erste offizielle Gipfel des europäischen Unternehmerdachverbandes UNICE im Zentrum Brüssels statt. Die nach Angaben der Veranstalter mehr als 1000 Teilnehmer wurden durch ein massives Polizeiaufgebot, Wasserwerfer und Stacheldraht von den knapp 3.000 Demonstranten abgeschirmt, die am Samstag vor allem aus Frankreich und den Beneluxländern angereist waren.

UNICE, dem 39 Mitgliedsverbände aus 31 europäischen Ländern angeschlossen sind, vertritt nach eigenen Angaben 16 Millionen Unternehmen und wollte mit diesem Gipfel einen »direkten Dialog zwischen der europäischen Wirtschaft und den politischen Entscheidungsträgern« organisieren. Der Ruf verhallte nicht ungehört: Guy Verhofstadt, der belgische Premierminister und neun der zwanzig EU-Kommissare sowie Romano Prodi, der Präsident der Megabehörde, nahmen an dem Treffen teil. Gemeinsam mit den Vertretern der Wirtschaft wollen sie die EU zur »weltweit wettbewerbsfähigsten und dynamischsten Ökonomie« machen.

Als wichtige Etappe bezeichnete Georges Jacobs, der Präsident von UNICE, die »Modernisierung der sozialen Schutzsysteme in Europa«. Damit meint er die Senkung der »überzogenen« Arbeitskosten und eine Schaffung »effizienterer« Arbeitsmärkte, die auf Beschäftigungsfähigkeit statt »übertriebenen Schutz« der Arbeitskräfte orientiert sind, so die Ausführungen in einem UNICE-Papier, das Anfang Oktober des vergangenen Jahres die »Prioritäten für die neue Europäische Kommission« formulierte.

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Die Entwicklung der Euromärsche

Als Eingeständnis an den Wandel von der Industrie- zur Informations- und Wissensgesellschaft spielte der »Umbau« des Bildungssektors eine bedeutende Rolle. UNICE forderte in Brüssel die Aufhebung der »Barrieren« zwischen staatlichem Bildungssektor und Universitäten gegenüber der Wirtschaft, weil dadurch »Technologietransfer« verhindert werde. Die Regierungen der einzelnen Mitgliedsländer müssten deshalb bis spätestens 2004 alle gesetzlichen Hindernisse abschaffen. Wie in den USA soll es auch in Europa zum Normalfall werden, dass z.B. Hochschullehrer nebenbei als Unternehmer tätig sind. Bildungs- und Universitätsfächer, die nichts zur »Innovation und der Förderung des Unternehmertums« beitragen, seien »überholt«.

Neben der Forderung nach massiven Steuersenkungen für Unternehmen, eine zügige Osterweiterung und eine vorgezogene vollständige Liberalisierung der Finanzmärkte in Europa, beschäftigte die Teilnehmer der im Vergleich zu den USA schlechte Ruf der Biotechnologie in Europa. »Sollte es Regierungen erlaubt sein, die Wahlmöglichkeiten von Konsumenten zu beschneiden?«, lautete die rhetorische Frage. Ganz im Gegenteil erwartet UNICE einen aktiven Einsatz der Politker, um das »Bewußtsein für die Bedeutung der innovativen Impulse für die Wirtschaft und das soziale Wohlergehen Europas« zu schärfen.

Der UNICE-Gipfel hätte gezeigt, daß es »eine Übereinstimmung zwischen den durch die Staatschefs definierten Prioritäten auf dem Lissaboner EU-Gipfel und den Zielen der führenden Köpfe der Wirtschaft gebe«, resümierte Jacobs. Auch der Kommissionspräsident betonte, daß eine zügige »Innovation« den Fortschritt der »Produktivität, des Wachstums und der Beschäftigung« beschleunige. Er kündigte außerdem an, dass die EU-Kommission in dem Maße mit regulierenden Eingriffen weitere Zurückhaltung üben würde, je mehr sich eine »verantwortungsvolle Unternehmensführung« durchsetze.

Etwa hundert Meter vom Tagungsort enfernt kritisierten die Teilnehmer der Gegendemonstration, an der sich Erwerbslose, Gewerkschafter und Studenten beteiligten, die Pläne des European Business Summit. Trotz Verbots war es ihnen gelungen, bis kurz vor das Sheraton-Hotel, den Tagungnsort, zu gelangen. »Arbeit ist ein Recht, Einkommen eine Pflicht«, hallte die Parole der Demonstranten durch die Strassen.

Dem Bestreben der EU, die europäische Einigung in erster Linie an den Anforderungen der Unternehmen und Konzerne zu orientieren und die Erwerbslosigkeit in Europa mit dem Ausbau eines Billiglohnsektors abzuschaffen, erteilten die Protestierenden eine klare Absage. Am Morgen hatten die »Europäischen Märsche gegen Erwerbslosigkeit, ungeschützte Beschäftigung, Rassimus und Ausgrenzung« deshalb zu einem Symposium über ein europaweites Mindesteinkommen eingeladen. 120 Vertreter von Erwerbslosenorganisationen aus mehreren Ländern berieten darüber, wie ein Konzept zum Mindesteinkommen auf europäischer Ebene umgesetzt werden könnte.

Die meisten RednerInnen favorisierten ein Modell, das sich am durchschnittlichen Pro-Kopf-Einkommen auf Basis des Bruttoinlandsprodukts der einzelnen Mitgliedsländer orientiert. Für die Berechnung des Mindesteinkommens, das Erwerbslosen, Rentnern, Flüchtlingen, Sozialhilfeempfängern und Behinderten zustehen soll, wurden 50 Prozent dieses Ergebnisses vorgeschlagen. Das wären in Deutschland knapp 2000 Mark. Die Kopplung an das Bruttoinlandsprodukt würde eine willkürliche Herabsetzung verhindern, so Marie-Paule Connan, eine Sprecherin des belgischen EuroMarsch-Netzwerks. Würde es gelingen, ein an die Entwicklung des gesellschaftlichen Reichtums gebundenes Mindesteinkommen durchzusetzen, wäre dies ein »erster Schritt zur Destabilisierung« der neoliberalen Politik in der EU, erklärte Corinne Gobin, Sozialwissenschaftlerin an der Freien Universität in Brüssel.

Demgegenüber setzte sich Wolfram Otto von der Bundesarbeitsgemeinschaft der Sozialhilfeinitiativen (BAG-SHI) für ein Existenzgeld ein, dessen Höhe sich nicht am Bruttoinlandsprodukt, sondern am durchschnittlichen Bedarf, den Lebenshaltungskosten, orientiert. Bei ihren Berechnungen für die Bundesrepublik sei die BAG-SHI auf eine Summe von 1500 Mark plus Warmmiete gekommen, so Otto.

Anfang Dezember wird in Paris eine Versammlung europäischer Erwerbsloser stattfinden, die über ein Modell entscheiden soll. Anschließend ist eine Karawane von Paris nach Nizza zum EU-Regierungsgipfel geplant, auf dem eine europäische Grundrechtecharta verabschiedet wird. Eine internationale Grossdemonstration, eventuell sogar mit Beteiligung des Europäischen Gewerkschaftsbundes, wird dort für die Durchsetzung verbindlicher sozialer Grundrechte eintreten.

Gerhard Klas

Der Artikel ist zuerst in der zweiwöchentlich erscheinenden SoZ - Sozialistischen Zeitung Nr. 13/2000 vom 22.Juni 2000 erschienen. Kostenloses Probeexemplar bestellen!
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