Aktionszeitung der Europäischen Märsche gegen Erwerbslosigkeit,
ungeschützte Beschäftigung und Ausgrenzung, Oktober 2000 Obdachlose wehren sich
Schluß mit dem Bettelverbot!
Deutschland ist im internationalen Vergleich ein reiches Land. Großen
Teilen der Bevölkerung geht es gut. Dennoch gibt es nach Schätzung der BAG
Wohnungslosenhilfe 1998, ca. 550.000 Wohnungslose Menschen.
Zusätzlich ca. 300.000 wohnungslose Aussiedler. Wohnungslosigkeit
bedeutet extreme Armut, Krankheit, unzureichende soziale Bindungen,
Ausgrenzung von Arbeit und kulturellem Leben. Zu den wichtigsten Ursachen
zählen prekäre Beschäftigung und Massenarbeitslosigkeit.
Doch auch Wohnungslose wehren sich!
In Baden-Württemberg organisierten sie vor zwei Jahren vom 29.8. bis zum
11.9.98 einen »Marsch auf Stuttgart«. Dort machten sie auf die gröbsten
Mißstände aufmerksam:
- Öffentliche Räume (Plätze, Treffpunkte, Bahnhöfe) werden immer mehr zu
privaten (Verkaufs-)Räumen. Sie werden immer dichter überwacht. Soziale
Randgruppen werden häufig von Polizei oder privaten Sicherheitsdienste als
Störenfriede verjagt.
- Bettelverbote. Dabei gibt es Gerichtsurteile, die Bettelverbote an
öffentlichen Plätzen für nichtig erklären, wie z.B. das »Stuttgarter
Urteil«. Darin heißt es, »dass die Anwesenheit von ... Menschen, die in Not
geraten sind und an das Mitleid und an die Hilfsbereitschaft von Passanten
appelieren, ... nicht generell als abträglicher und damit polizeiwidriger
Zustand gewertet werden darf«.
- Menschen, die von Erwerbslosigkeit und Armut betroffen sind, werden von
Politikern oder Presseorganen diffamiert. Fälschlich wird behauptet, daß
die Betroffenen ihr Schicksal selbst verschuldet hätten und sich in einer
»sozialen Hängematte« ausruhen.
- Hilfeangebote sozialer Einrichtungen
sind oft zeitlich eng begrenzt und mit dem Zwang zur Arbeit verbunden.
Hilfe wird oft abschreckend gestaltet.
- Kommunale Obdachlosenunterkünfte sind oft unzureichend und
menschenunwürdig - ohne ausreichendes Hilfeangebot für die Betroffenen.
Grundrechte wie das auf die Würde des Menschen, die freie Entfaltung der
Persönlichkeit, Gleichheit vor dem Gesetz, Gewissensfreiheit,
Meinungsfreiheit, Versammlungsfreiheit, Vereinigungsfreiheit, Berufswahl,
Unverletzlichkeit der Wohnung sind bei obdach- und arbeitslosen Menschen
faktisch nicht erfüllt oder permanent gefährdet.
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Deshalb fordern die Wohnungslosen:
- Ein Grundrecht auf Wohnen, damit der Wohnungsmarkt nicht ausschließlich
ein Produkt des Marktes bleibt.
- Die Anhebung des Regelsatzes der Sozialhilfe.
- Die langfristige Abschaffung des bisherigen Sozialhilfe und die
Einführung einer Grundsicherung.
- Einen Bundesbeauftragten für das Obdachlosenwesen und einen jährlichen
Armutsbericht. Interessenvertretungen sozial benachteiligter Menschen
sollen finanziell unterstützt werden.
- Das Recht auf Arbeit. Beschäftigungsprogramme mit einer Laufzeit zwischen
drei und fünf Jahren.
- Die Abschaffung der privaten Sicherheitsdienste.
Diese Forderungen gelten in anderen Ländern gleichermaßen. Japanische
Obdachlose haben angesichts des G7-Gipfels auf Okinawa im Sommer einen
einmonatigen Marsch durchgeführt, um sich untereinander besser zu
koordinieren. In Nizza hat der Bürgermeister, der dem rechtsextremen Front
National angehört, vor wenigen Jahren ein Bettelverbot in der ganzen Stadt
ausgesprochen. Die Obdachlosen, die Anfang Dezember nach Nizza kommen,
werden diesen Skandal zum Gegenstand eigenständiger Aktionen machen.
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