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Revision der EU-Entsenderichtlinie

Alles wird gut?

von Klaus Dräger

Der Rat der EU-Arbeits- und Sozialminister hat sich am 23.10.2017 mehrheitlich auf eine gemeinsame Position zur Reform der EU-Richtlinie zur Entsendung von Arbeitnehmern geeinigt. Osteuropäische Mitgliedstaaten wie Polen, Ungarn, Lettland, Litauen usw. lehnen den Kompromiss ab. Von den Gewerkschaften wird er begrüßt, weil endlich das Prinzip „Gleicher Lohn für gleiche Arbeit am gleichen Ort“ umfassend in der Entsenderichtlinie verankert werde.

Der Hintergrund

Die grenzüberschreitende Entsendung und Verleihung von Arbeitnehmern gehört zur so genannten aktiven Dienstleistungsfreiheit, bei der sich Unternehmer und/oder ihre Arbeitskräfte als Dienstleistungserbringer vorübergehend ins EU-Ausland begeben. Die geltende EU-Entsenderichtlinie von 1996 bestimmte einen „harten Kern“ von „Mindestarbeitsbedingungen“ (Vorschriften zu Arbeitszeiten, Pausen, Arbeitssicherheit, Mindestlohn, Urlaub, Gesundheitsschutz), die von den jeweiligen Mitgliedstaaten in eigener Hoheit erlassen werden konnten. Sie strebte keine EU-weite Harmonisierung der Regeln in diesem Bereich an, sondern die Koordinierung nationalstaatlicher Politiken durch sozialpolitische Mindestvorschriften auf EU-Ebene. Gleiche Arbeitsbedingungen für inländische und entsendete Arbeitnehmer am gleichen Ort sollten weitgehend garantiert werden, bei der Entlohnung aber nur der gleiche Mindestlohn für Entsende-Arbeitskräfte.

Der Europäische Gerichtshof (EuGH) machte mit seiner Auslegung der Entsenderichtlinie ab 2007 (Fälle Laval, Viking Line, Rüffert, Luxemburg) die mit ihr beabsichtigten, zarten Versuche zur Einhegung von Sozialdumping zunichte. Aus den Mindestvorschriften der Entsenderichtlinie machte er Maximalvorschriften, die nicht überschritten werden dürften. Lediglich eine Verpflichtung auf gesetzliche Mindestlöhne und als allgemeinverbindlich erklärte Tarifverträge zum Mindestentgelt (wie z.B. der Baumindestlohn in Deutschland) seien zum Schutz von entsendeten Arbeitnehmern statthaft. Entsende-Unternehmen seien ansonsten (ohne allgemeinverbindliche Tarifverträge zum Mindestentgelt) nur verpflichtet, den ihn ihrem Herkunftsmitgliedstaat geltenden Mindestlohn zu zahlen.

Die Mitte-links Kräfte im Europäischen Parlament (EP) waren von dieser Rechtsprechung des EuGH schockiert. Über mehrere Jahre wurden die EuGH-Urteile beklagt und bedauert, mit Resolutionen des EP „Klarstellungen“ durch die Kommission gefordert usw. In 2014 wurde eine „Durchsetzungsrichtlinie“ zur Entsenderichtlinie verabschiedet, die sich im Wesentlichen mit der Kontrolle der Vorschriften durch die Mitgliedstaaten befasste und diesbezüglich ziemlich schwach ist. Vor dem Hintergrund der Brexit-Debatte und ihrem Fokus auf „Sozialdumping durch die EU-Arbeitnehmerfreizügigkeit“ legte die EU Kommission im März 2016 nun einen Vorschlag zur Revision der EU-Entsenderichtlinie vor. Propagiertes Ziel: Sozialdumping in der EU wirksam bekämpfen.

Die Kernpunkte der Revision

Kommission, Rat und EP sind sich einig, dass entsandte Arbeitnehmer auf Lohnsätze (inklusive Zusatzleistungen wie Schlechtwettergeld, Weihnachtsgeld etc.) und Arbeitsbedingungen (Urlaub, Lohnfortzahlung im Krankheitsfall usw.) Anspruch haben, die in Rechtsvorschriften oder allgemein verbindlichen Tarifverträgen des Aufnahmelandes niedergelegt sind. Die Richtlinie soll für alle Branchen gelten (nicht nur für das Baugewerbe). Mitgliedstaaten, die über kein System der Allgemeinverbindlichkeitserklärung von Tarifverträgen verfügen, können bestimmte andere Tarifverträge oder Schiedssprüche zugrunde legen. Gleicher Lohn für gleiche Arbeit am gleichen Ort – dieses Prinzip soll auch für entsandte Leiharbeitskräfte gelten.

Die Arbeits- und Sozialminister wollen die Entsendedauer auf 12 Monate (in Ausnahmefällen auf Antrag des Entsendeunternehmens auf 18 Monate) begrenzen, EP und Kommission auf 24 Monate. Innerhalb dieser Frist kann das Entsendeunternehmen weiterhin Sozialabgaben in seinem Herkunftsland bezahlen, bei Überschreitung dieser Periode wären Sozialabgaben etc. im Zielland zu entrichten. Die durchschnittliche Entsendedauer beträgt laut Kommission aktuell allerdings nur 4 Monate. Käme es bei den Kernpunkten Entlohnung und Arbeitsbedingungen zu einer Einigung zwischen Rat und EP, wäre dies zumindest auf dem Papier ein deutlicher Fortschritt gegenüber der derzeitigen Rechtslage bei der Arbeitnehmer-Entsendung.

Alles wird gut?

Allerdings gibt es gegenläufige Entwicklungen. Erstens wurde das Speditionsgewerbe von der Entsenderichtlinie ausgeklammert. Die bestehende EU-Richtlinie zum Transportsektor soll unter anderem mit dem Ziel überarbeitet werden, Lenkzeiten auszuweiten und Ruhezeiten zu verkürzen. Die Kommission klagt vor dem EuGH dagegen, dass Deutschland, Frankreich und Österreich ihre Mindestlöhne für ausländische Kraftfahrer im Inland für verbindlich erklären.

Zweitens gelten weiterhin die schwachen Vorschriften der „Durchsetzungsrichtlinie“ zu den Kontrollrechten der Mitgliedstaaten bei der Arbeitnehmer-Entsendung. Zahlreiche Entsendeunternehmen haben findige, legale (und vielfach illegale) Methoden entwickelt, schon die bestehenden Mindestlohnregeln der geltenden Entsenderichtlinie zu unterlaufen. (1)

Drittens schlägt die EU-Kommission die Einführung einer elektronischen Dienstleistungskarte (insbesondere für die Bauwirtschaft) vor. Einzelpersonen können diese in ihrem Herkunftsland beantragen und EU-weit damit als formell Selbständige arbeiten. Behörden und Gerichte im Zielland können diese bei Verdacht auf oder Nachweis von Scheinselbständigkeit nicht entziehen, sondern nur die entsprechenden Institutionen im Herkunftsland. Statt als entsandte Arbeitnehmer treten die Arbeitskräfte dann als Solo-Selbständige auf (z.B. Maurer, Fliesenleger etc.) auf, die keine Sozialabgaben zu entrichten haben und ihre Preise bis zur Selbstausbeutung senken können. So würde ein riesiges Scheunentor für die Förderung von Scheinselbständigkeit und Sozialdumping an anderer Stelle aufgemacht. (2) Eine konsistente Linie gegen Sozialdumping ist bei der EU nicht zu erkennen.

(1)Siehe z.B. „Der Mindestlohn, seine Umgehung und ein riesiges Gefälle zuungunsten der „guten“ Arbeitgeber. Das Beispiel Bauwirtschaft“; https://aktuelle-sozialpolitik.blogspot.de/2016/04/93.html

(2) Siehe z.B. IG BAU zur Dienstleistungskarte; https://www.igbau.de/dienstleistungskarte-loest-keine-probleme.html